Das Innere Team als systemische Intervention

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So geht’s (nicht) weiter – Ein Blick nach innen. Eine Einführung des Modells des „Inneren Teams“ als systemische Intervention in der psychotherapeutischen Arbeit mit Klienten (Gekürzte Fassung).

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Die Entstehungsgeschichte und persönliche Motivation zur Arbeit.

1.2. Beschreibung der Arbeit.

1.2.1. Grundlegende Annahmen und Zielsetzungen der Arbeit.

1.2.2. Versuch einer Einordnung von Interventionen in der therapeutischen Arbeit.

2. Darstellung des Modells des Inneren Teams nach Schulz von Thun

2.1. Einführung in das Modell des Inneren Teams.

2.2. Grundideen des Modells.

2.3. Zur Konstruktion von Inneren Teammitgliedern.

2.4. Besondere Merkmale des Inneren Teams.

2.4.1. Innere Pluralität.

2.4.2. Funktion und Ursprung der erarbeiteten Teammitglieder.

2.4.3. Innere Führung durch das Oberhaupt.

2.4.4. Innere Teamkonflikte und inneres Konfliktmanagement.

2.4.5. Aufbau und Dynamik der Persönlichkeit.

2.4.6. Variation innerer Mannschaftsaufstellungen.

2.4.7. Inneres Team und Phasen einer Situation.

3. Ausschnitte aus der praktischen Therapiearbeit

3.1. Innere Patt-Stellung oder „Man tritt auf der Stelle“

3.2. Ausschnitte aus der Therapiearbeit mit Herrn Markus L.

3.2.1. Das Erstgespräch

3.2.2. Die zweite Sitzung – Eine Metapher als Ausgangspunkt.

3.2.3. Die dritte Sitzung – Ein erster Blick hinter die Kulissen.

3.2.4. Die vierte Sitzung – Wir erfahren mehr.

3.2.5. Die fünfte Sitzung – Dialog, Akzeptanz und was nun?

3.2.6. Die sechste Sitzung – Das Oberhaupt entscheidet sich; von der Assoziierung zur Dissoziierung.

3.2.7. Die siebente Sitzung: Lösungsfokussierung, Verankerung und Einübung als erste kleine Anstöße im Alltag.

3.2.8. Die achte Sitzung: Eine erste Bilanz.

4. Zusammenfassung und Reflexion

Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung

1.1. Die Entstehungsgeschichte und persönliche Motivation zur Arbeit

Die Idee und der Anstoß zu dieser Arbeit wurden im Rahmen meiner systemischen Einzellehrselbsterfahrung geboren. Wie so oft nach einer für mich als Klient hilfreichen wie erhellenden Therapiestunde verspürte ich den Impuls einer Intervention, die ich als Klient als sehr nützlich empfand, genauer nachzugehen. Ich stellte mir die zunächst selbst die Frage warum ich diese „Hauptintervention“ als so brauchbar und erleichternd für meine Orientierung, ja für mein „ganzheitliches Erleben“ meiner gegenwärtigen beruflichen Situation wahrgenommen habe.

Wenn man meinen damaligen Therapieprozess auf die Ebene meiner beruflichen Situation „herunterbricht“ und meine Beziehung zu meinem Beruf fokussiert, dann waren bereits einige Stunden dafür verwendet worden, den beruflichen Kontext mit seinen Besonderheiten zu beleuchten. Beim Sichtbarmachen meiner Bedürfnisse und Ressourcen in meiner operativen Arbeit (Abhalten von Unterrichtsstunden an einer Höheren Technischen Lehranstalt) wurde „Das Innere Team“ von Schulz von Thun gewählt, um Unterschiede in meiner Selbstwahrnehmung als Lehrer erzeugen zu können.

Auftrag in jener besagten Therapiestunde war es, meine Eignung als Lehrer zu hinterfragen und Klarheit zu bekommen, wer ich bin, wenn ich den Klassenraum betrete.

Ich bezeichne das Unterrichten als operative Arbeit, da es trotz zunehmender zusätzlicher Sozial- und Verwaltungsarbeiten die Kernaufgabe (vor allem didaktische, inhaltliche und pädagogische Aufgaben) jedes Lehrers darstellt.

Soziale Aufgaben (Schüler- Lehrer- Elterngespräche) sowie Verwaltungsaufgaben nehmen rapide zu, die Ursachen dazu scheinen vielfältigst: Personalabbau an den Schulen im Verwaltungsbereich, überfüllte Klassen (36 Schüler in einer Klasse sind keine Seltenheit), neue Problemfelder in Familien, neue Medien welche „mitregieren“ und vieles andere mehr. Viele Rahmenbedingungen erscheinen veraltert und sind streng vorgegeben: Lehrplan, Leistungsbeurteilungen, Hausordnungen, Stundenpläne und Vorgaben des Ministeriums ergeben eine spezifische Organisationskultur.

Das „System Schule“ jedenfalls ist wie es ist. Ändern kann ich nur meine Beziehung zu diesem System, hier kann ich gestalten und Unterschiede erzeugen. Die Ebene in der ich jedoch unmittelbar selbstwirksam sein kann ist das Unterrichten in der Klasse, also meine operative Kernarbeit.

Wer bin ich also wenn ich die Klasse betrete, welche Bedürfnisse und Ressourcen habe ich in diesem Kontext? Darüber Orientierung zu bekommen war eben der Auftrag in jener Stunde. Mit dem „Modell des Inneren Teams“ nach Schulz von Thun konnten Ressourcen gut aufgedeckt werden, also Situationen offengelegt werden, in denen ich bereits erfolgreich selbstwirksam tätig geworden bin. Interessant war auch für mich zu sehen, welche persönlichen Grundbedürfnisse ich beim Unterrichten befriedigt wissen will, welche Rollen ich im Unterricht vordergründig einnehme, welche nützlichen Rollen bzw. Anteile meist im Hintergrund bleiben.

Neben dieser Selbsterfahrung mit dieser Intervention gibt es aber auch ein persönliches Interesse am Arbeiten mit „Inneren Anteilen“. Dabei darf natürlich nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich beim Arbeiten nach der systemischen Methode nur um die Einführung eines Modells handeln kann, welches im Therapieprozess in Passung mit dem Klienten einen Zweck erfüllen soll: Es ist sinnvoll zu überlegen, wofür dieses Modell eingesetzt werden soll, da es ja schließlich nicht Selbstzweck sein kann. Kurz gesagt, das Modell sollte sowohl zum Therapeuten wie auch zum Klienten passen und dazu dienen, einen Unterschied in der Wahrnehmung des Klienten zu erzeugen, der einen Unterschied macht. (vgl. Bateson, 2000, S. 353) Welche konkreten Unterschiede sich hier anbieten, wird in dieser Arbeit noch genauer ausgeführt.

Was mich an der Idee der inneren Anteile schon länger interessiert ist, dass uns das Leben nicht als schwarz oder weiß begegnet, dass radikale Haltungen meist heftiges Leid erzeugen können, da die Polaritäten bzw. Leitdifferenzen in denen wir leben, hier besonders stark sind. Oft schreiben wir im Außen entsprechenden Personen oder Umständen unsere Probleme zu. Diese mögen auch an der Aufrechterhaltung unseres Leidenszustandes „mithelfen“; ein Blick in unsere eigene innere Vielschichtigkeit kann aber helfen, die „Zügel für unsere Lösungskompetenz wieder in eigenen Händen zu halten“. Wenn man sich auf den Begriff Seele einlassen kann, dann sind Unterscheidungen von inneren Anteilen oder inneren Personen in der Menschheitsgeschichte sehr weit zurückzuverfolgen. Von der Götterwelt der Antike bis zu Shakespeare’s Hamlet, aber auch in zahlreichen alten Mythen und Märchen begegnen uns Erzählungen über „Innere Seelenanteile“, welche wir vergessen haben, welche miteinander kämpfen, kooperieren, welche sich untereinander nicht verstehen, sich sabotieren oder sich je nach Kontext vorübergehend zu einer Allianz verbünden.

Dieses Denken ist mit Beginn der Aufklärung großteils abgelöst worden, von einem streng rational wissenschaftlichen Denken. Man könnte vereinfacht und überspitzt formulieren, dass nun die rechte Hirnhälfte von der linken Hirnhälfte abgelöst wurde.

Mit streng rational wissenschaftlichem Denken meine ich die klassischen Annahmen der Existenz einer objektiven Wirklichkeit bzw. Wahrheit, die nach unabänderlichen Gesetzen zusammenhängt. Diese Wirklichkeit bzw. Wahrheit kann dann als solche erkannt werden, und dadurch kann sie auch geplant und kontrolliert beeinflusst werden. Diese Annahmen sind vor allem in den Humanwissenschaften an unüberwindbare Grenzen gestoßen.

Die alte Vorstellung, dass der Mensch von einem Supervisor namens Ich geistig zusammengehalten wird, ist nicht widerlegt. Dieses Ich ist eine komplizierte Sache, es lässt sich mitunter in verschiedene Ichs zerlegen, aber es ist gleichwohl so etwas wie eine gefühlte Realität, die sich naturwissenschaftlich nicht einfach erledigen lässt. Reicht denn nicht schon die Beobachtung aus, dass wir uns als ein Ich fühlen, um festzustellen, dass es ein Ich gibt? „Man ist Individuum“ schreibt der Soziologe Niklas Luhmann, „ganz einfach als der Anspruch es zu sein. Und das reicht aus“. „Den gleichen Satz könnte man wohl auch über das Ich sagen“. (Precht, 2007, S. 72)

 

1.2. Beschreibung der Arbeit

1.2.1. Grundlegende Annahmen und Zielsetzungen der Arbeit

Der nachfolgenden Arbeit liegt die Annahme zu Grunde, dass einiges was Klienten in Therapiesitzungen erzählen nicht stimmt bzw. nicht stimmig erscheint.

Das kann natürlich viele Gründe haben, wichtig erscheint mir in dieser Arbeit jedoch jene Passagen in Therapieprozessen zu beleuchten, wo Klienten sich als handlungsunfähig beschreiben, wo sie blockiert sind, wo nichts weitergeht bzw. wo von einem weitgehenden Rückzug vom „äußeren Leben“ erzählt wird.

Die Arbeit geht hier von der Fragestellung aus, ob eine Klärung innerer Zustände, Kräfte oder Energien als erster Schritt zur Rückgewinnung eigener Handlungsfähigkeiten genutzt werden kann. Der Klient sollte also langsam und behutsam „die eigenen Zügel wieder in die Hände bekommen“ und seine erwünschte Wirksamkeit im praktischen Alltag wieder einüben und überprüfen können. Dies soll später anhand eines praktischen Beispiels aus meiner Therapiearbeit untersucht werden. Eine Klärung „Wer bin ich alles in Bezug worauf“ soll mittels sinnvoller Komplexitätsreduktion als Co-Kreation zwischen Klienten und Therapeuten verhandelt werden. Als Technik der Komplexitätsreduktion habe ich dazu das Modell des Inneren Teams ausgewählt, da ich glaube, dass es im Moment unter den zahlreichen Modellen der Arbeit mit inneren Anteilen am besten zu mir passt und weniger streng vorgegebenen Anleitungen unterliegt wie andere mir bekannte Teile-Modelle. An den Modellen der Teile-Arbeit finde ich generell den ordnenden, sichtbar machenden und anschaulichen Effekt sehr hilfreich. Zu dem denke ich, dass offen gelegte Fühl- Denk- und Verhaltenseinheiten die Wahlmöglichkeiten des Klienten sowie seine „innere Demokratie“ fördern können. Neue Blickwinkel des Klienten auf seine Blockade sollten dann durch korrigierende Erfahrungen im Alltag ergänzt werden. Blockaden als Problembeschreibungen sind immer auf das Erreichen von Zielvorstellungen bezogen. Gerade die therapeutische Zielarbeit stellt oft eine große Herausforderung dar: „Gute Zielformulierungen“ sind manchmal schwer zu verhandeln, dazu kommt, dass Ziele sich rasch ändern können bzw. unbewusst vom Klienten sabotiert werden. Es gilt bei Zielformulierungen genau hinzuschauen, ob diese stimmig sind, ob die „innere Ampel des Klienten auf grün steht“. In dieser Arbeit soll nicht primär die Zielerreichung im Vordergrund stehen, sondern vielmehr soll ein minimales Hinbewegen in Richtung des Ziels als Maßstab für Bewegung dienen. Dieses langsame zielgerichtete „wieder in Bewegung kommen“ soll genügen, erstarrte und unerwünschte Muster zu verstören und aufzuweichen bzw. gar aufzubrechen.

Das Ziel dieser Arbeit selbst erscheint also bescheiden und könnte dennoch für den Klienten in seinem Prozess hilfreich sein: An der Staumauer seines Lebensflusses selbstwirksam eine kleine Schleuse zu öffnen. Das Modell des Inneren Teams soll hier als Bedienungsanleitung zur Schleusenöffnung behilflich sein.

Natürlich liegt dieser Metapher die Annahme zu Grunde, dass ein gesundes Leben in Bewegung sein soll, auch wenn kurzfristig große Hindernisse einen Stau verursachen. Dieser Stau soll nicht als eine Quittung für ein falsch gelebtes Leben gedeutet werden, sondern als Vorbote anstehender persönlicher Entwicklungen im Leben des Klienten formuliert werden.

1.2.2. Versuch einer Einordnung von Interventionen in der therapeutischen Arbeit

Intervenio bedeutet im Lateinischen so etwas wie „Dazwischengehen“ bzw. „Dazwischenkommen“. Streng genommen kann man jegliche Art von Beziehungsaufbau in der Therapiearbeit als Intervention bezeichnen. Bereits der erste Telefonanruf (Wer kommt in die Therapie, um was geht es kurz gesagt, etc.) ist voller Interventionen, die bereits Wirkung oder zumindest Impulse sowohl beim Therapeuten als auch beim Klienten erzeugen können. Nach hypnosystemischen Gesichtspunkten etwa können Interventionen grundsätzlich verstanden werden als Maßnahmen der Fokussierung von Aufmerksamkeit. Der jeweilige bisherige Fokus der Aufmerksamkeit, besonders dann, wenn er zu ungewünschten Mustern beigetragen hat, sollte jeweils durch Unterschiedsbildungen im Sinne einer Umfokussierung geändert werden. Um solche wirksamen Umfokussierungen zu erreichen, muss keineswegs ein ganzes Muster-Netzwerk durchgearbeitet werden, es genügt meist schon, wenn man nur ein Element des Netzwerkes verändert, z.B. etwas assoziiert, was bisher nicht Teil des Musters war, oder etwas dissoziiert, was bisher Teil des Musters war. „Jedenfalls können Interventionen zwei verschiedene Zielrichtungen haben: Entweder sie sollen dazu führen, dass etwas, das bislang gemacht wurde, unterlassen wird, oder sie zielen darauf ab, dass etwas, was bislang unterlassen wurde, gemacht wird“. (Simon, 2009, S. 275)

Wenn wir hier in dieser Arbeit eine bestimmte Art von Technik bzw. Hauptintervention näher untersuchen – in diesem Fall das Modell des Inneren Teams von Schulz von Thun – so darf nach systemischen Kriterien nicht außer Acht gelassen werden, dass auch diese Intervention wesentlich vom eigenen inneren Modell des Therapeuten (z.B. dass „gesunde“ Menschen innerlich multiple Persönlichkeiten sind, ja zwangsläufig sein müssen) und seinen Hypothesen, welche er auf Grund seiner Erfahrungen gewonnen hat, abhängen. Um an dieser Stelle frei nach Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften zu zitieren“: „ Der Unterschied zwischen einem gesunden und einen kranken Menschen ist der, dass der gesunde Mensch über alle Krankheiten verfügt und der kranke Mensch nur über eine.“ Wichtig ist, dass ich mir dieser Abhängigkeiten bewusst bin und auch das Modell des Inneren Teams nur als einen Vorschlag an den Klienten sehe. Dieser wird verhandelt, um dann bei Vorliegen einer bestimmten „Passgenauigkeit“ als Co-Kreation mit dem Klienten gemeinsam entwickelt zu werden. Man bewegt sich dabei in einer Choreographie von Reflexion, Hypothesenbildung, Intervenieren und Interagieren sowie ständigem Beobachten und Wahrnehmen der Antwort. Das „Ja“ des Klienten kann als Wegweiser dienen, Hypothesen und Therapierichtung zu überprüfen.

Es werden an die verschiedenen Ebenen des Systems Vorschläge der Änderung herangetragen. Das kann die Ebene der Bedeutung sein, in dem der Therapeut z.B. die Modelle dem Einzelnen zugänglich und damit veränderbar zu machen versucht, oder in der Herausarbeitung bedeutsamer Unterschiede diesbezüglich.

Wichtig erscheint mir dabei immer genau nachzufragen (Was heißt das für Sie?) und manchmal auch gegen Strich zu denken und zu fragen, sonst könnte die Therapiearbeit zu einer „Fortsetzung erlebter Grausamkeiten“ des Klienten werden.

Es wird oft behauptet, dass sogenannte Hauptinterventionen wie das Innere Team, Rituale, Skulpturarbeit, Familienbrett, Metaphern, Skalierungen, Problemexternalisierungen und viele andere mehr ausschließlich dem Therapeuten hilfreich sind. Dabei wird oft darauf verwiesen, dass gerade am Beginn dieses Berufes, wenn praktische Erfahrungen noch überschaubar sind, Hauptinterventionen für ein gutes oder schlechtes Arbeiten herhalten müssen. Aus meiner eigenen Erfahrung bei den jeweiligen Live-Kolloquien an der Lehranstalt kann ich sagen, dass die Vorbereitung auf die Prüfung vom Durchspielen einiger Varianten des Einsatzes einer bestimmten passenden Hauptintervention geprägt war. Mit dem Sammeln von Erfahrungen in der Praxis ist jedoch diese Haltung in den Hintergrund getreten, der Fokus für ein stimmiges Arbeiten ist differenzierter und breiter geworden.

Um Interventionen in Bezug auf Erfolg und Wirksamkeit in der Therapiearbeit besser einordnen zu können, ist für mich die therapeutische Beziehung mit all ihren Facetten zum entscheidenden Faktor für eine gelungene Therapiearbeit geworden.

Die therapeutische Beziehung stellt für mich in erster Linie eine Begegnung auf persönlicher aber genauso auf inhaltlicher und prozessualer Ebene dar.

Die therapeutische Beziehung spielt für ein positives Therapieergebnis zufolge zahlreicher Forschungsergebnisse eine ganz entscheidende Rolle: Gemeinsam mit extratherapeutischen Veränderungen macht sie ca. drei Viertel am Gelingen von Veränderungen und Heilung aus. Methoden und Interventionen liegen hier weit zurück, man spricht von maximal 10% bis 15%. (vgl. Hubble, Duncan & Miller, 2001, S. 49) Zur Gestaltung einer positiv wirksamen Therapiebeziehung durch den Therapeuten gehören laut Hubble et al. unter anderem ein Klima von Sicherheit und Vertrauen, Verständnis, Respekt, sowie aufmerksames Zuhören und Nachfragen sowie Verstehen. Beziehungsförderndes therapeutisches Verhalten reicht von Herzlichkeit und Empathie, bis hin zu Beistand und Direktheit, je nach Passung bei Klienten. Diese wiederum tragen beispielsweise durch Engagement und Kooperation am Gelingen von Therapie bei.

Moderne Forschungsergebnisse zeigen allesamt, dass die therapeutische Beziehung die entscheidende Komponente darstellt, und das Endergebnis erheblicher beeinflusst als Hauptinterventionen. Als Bestandteile der Beziehung gelten dabei das Arbeitsbündnis, die Zusammenarbeit zwischen Klient und Therapeut, das wechselseitige Verstehen und gegenseitige Achtung. Daraus ergibt sich für mich, dass es wesentlich wichtiger ist, sich um die Beziehung zu Klienten intensiv zu kümmern und diese auch regelmäßig zu evaluieren, als „zuviel Gewicht in die richtige Hauptintervention“ zu legen. Eine therapeutische Beziehung sehe ich als einen dynamischen und pulsierenden Zustand, bei dem ein ständiger Wechsel zwischen einerseits Neutralität und Distanz, und andererseits zwischen exklusiver emotionaler und kognitiver Zuwendung stattfindet. Konrad Grossmann greift dazu die Metapher des Raumes auf. Der Raum therapeutischer Beziehung spannt sich demnach entlang der Achsen Nähe – Ferne, Sich Anschließen – Führen und Problemorientierung – Lösungsorientierung. (vgl. Grossmann, 2007, S. 142)

Was die Interventionen der Therapeuten betrifft, gibt es weniger eindeutige empirische Befunde. Daher kann man davon ausgehen, dass jeder Mensch unterschiedlich auf Interventionen reagiert. Aber: Wie auch Absichten und Botschaften von Klienten anders verstanden werden, so ist auch nahe liegend, dass die therapeutische Beziehung, sowie Einstellungen und Betrachtungsweisen von Klienten und Therapeuten jeweils unterschiedlich interpretiert werden können.

Interventionen erleben manche Klienten als unterstützend, wohingegen genau jene Interventionen bei anderen folgenlos bleiben oder sogar auf Ablehnung stoßen können. Dies bedeutet in weiterer Folge, dass es durchaus hilfreich und auch notwendig sein kann, neben aufmerksamem Wahrnehmen von Bedürfnissen und Reaktionen von Klienten bei ihnen nachzufragen, welche Verhaltensweisen und Handlungen als hilfreich wahrgenommen werden.

 

2. Darstellung des Modells des Inneren Teams nach Schulz von Thun

2.1. Einführung in das Modell des Inneren Teams

Wir können davon ausgehen, dass sich nicht nur im therapeutischen Gespräch, sondern in den meisten alltäglichen zwischenmenschlichen Kommunikationen rasch Missverständnisse in der Aussage und im Empfang von Informationen bilden. Auch in der nonverbalen Kommunikation kommt es häufig zu Unstimmigkeiten zwischen den Teilnehmern. Schulz von Thun (1981) hat dazu mit seinem anschaulichen Modell des Kommunikationsquadrates gezeigt, auf welchen Ebenen solche Missverständnisse ablaufen können. Auf der Suche nach den Ursachen für solche Missverständnisse stehen schnell die Teilnehmer im Mittelpunkt. Mit Hilfe verschiedener Methoden und Analyseverfahren lassen sich mögliche Ursachen übersichtlich aufdecken. Eine mögliche Erklärung bietet das Modell des oben genannten Kommunikationsquadrates, welches aber nicht Gegenstand dieser Arbeit ist.

Eine weitere Möglichkeit bietet das Modell des „Inneren Teams“ von Schulz von Thun (1998), eine Methode der Persönlichkeitsanalyse und ein so genanntes Weiterentwicklungstool, um den Einfluss der Person auf die Kommunikation zu untersuchen. Im Folgenden soll diese Persönlichkeitsanalyse näher betracht werden. Dabei wird auf die „Innere Pluralität“, die „Kooperative Führung“, die „Inneren Teamkonflikte“, den „Aufbau der Persönlichkeit“, die „Variation der inneren Mannschaftsaufstellung“ sowie auf die Stimmigkeit der Person und der Situation des „Inneren Teams“ eingegangen. Anschließend wird versucht, das vorgestellte Modell mit Hilfe eines Beispiels aus der therapeutischen Arbeit mit einem Klienten einerseits näher zu veranschaulichen, und andererseits für das Arbeiten nach der systemischen Therapieform bei bestimmten Problemstellungen und Klientenaufträgen nutzbar zu machen .

2.2. Grundideen des Modells

Einer der Grundgedanken von Schulz von Thuns Innerem Team ist die bildhafte Darstellung der inneren Stimmen, die als Team dargestellt werden. Damit wird wie bei anderen Techniken der Teile-Arbeit das Problem des Klienten von seiner Person dissoziiert und „aufgeweicht“. Die Teammitglieder zeichnen sich durch eine eigene Gruppendynamik aus, wie sie in realen Teams auch existieren. Die Stärkeren der Mitglieder sind für unser Handeln nach Außen „verantwortlich“. Die Aufgabe des Teamchefs ist es, das Team entsprechend der Situation zu positionieren, um für sich und die Situation das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Schulz von Thun verbindet damit zwei Blickrichtungen, die nach innen und die nach außen, die in einem engen Zusammenhang stehen. In dieser Arbeit wird „der Blick nach innen“ hervorgehoben, da dieser als Ausgangspunkt einer im Nachfolgenden näher beschriebenen therapeutischen Arbeit genutzt wird, ein dysfunktionales Muster zu verstören um so den Weg von einer gewissenhaften Problemarbeit zu einer wirksamen Lösungsarbeit freizumachen.

2.3. Zur Konstruktion von Inneren Teammitgliedern

Sich Herausforderungen zu stellen, „stimmige“ Entscheidungen treffen zu wollen, oder Aufgaben bewältigen müssen, das alles kann zu einer ambivalenten Haltung oder gar einem inneren Diskurs führen. Durch ein Heraustreten aus alltäglichen Situationen und einem Verinnerlichen des Geschehenen bekommt der Klient die Möglichkeit, sich über das Vorhandensein der Anteile bewusst zu werden bzw. die verschiedenen Stimmen zu entdecken. Dabei können bereits für den Klienten bedeutsame Unterscheidungen erzeugt werden.

Wichtig ist dabei immer der Kontext, welcher in Form eines aussagekräftigen Satzes zunächst in seiner Komplexität reduziert wird: Z.B. Wenn ich an die bevorstehende Prüfung denke, welche Stimmen melden sich dann in mir zu Wort? Anders formuliert: Was regt und rührt sich in mir wenn ich an die bevorstehende Prüfung denke? Gibt es eine Stimme die sich gleich als erste deutlich zu Wort meldet? Mit solchen Fragen beginnt man mit der Konstruktion bzw. Erhebung des Inneren Teams. Durch die Formulierung „Was regt oder rührt sich in mir?“ können die Antworten sowohl die Fühlebene als auch gleichzeitig die Denk- oder Verhaltensebene betreffen (z.B. ein ungutes Gefühl in der Magengegend bewirkt ängstliche Gedanken, die sich im Kreis drehen). Bei diffusen Antworten muss der Therapeut in Kooperation mit dem Klienten versuchen die jeweiligen Botschaften spruchreif werden zu lassen. Der Therapeut sieht sich hier in der Rolle einer Hebamme. Die zweite Konzentration zielt darauf ab, den inneren Urheber dieser Botschaft auszumachen: „Wer in mir reagiert mit einem unguten Gefühl? Können wir diesem einen passenden Namen geben?“ Als Ergebnis ist dann ein erstes Teammitglied mit einem Namen und einer Botschaft zutage gefördert worden. Diese Co-Kreation ist nun für das erste Teammitglied abgeschlossen. Auf diese Art werden nun weitere Stimmen konstruiert, welche sich weiter auf dieselbe Frage (z.B. Wenn ich an die bevorstehende Prüfung denke, welche Stimmen melden sich dann in mir zu Wort?) beziehen. Damit kann ein Bild von verschiedenen Mitgliedern auf einer (inneren) Bühne erzeugt werden. (vgl. Schulz von Thun, 2004, S. 22)

Dieses Bild bezeichnet Schulz von Thun als Strukturbild erster Ordnung. Es ist vorläufig vollständig, aber noch ungeordnet. In einem sogenannten Strukturbild zweiter Ordnung werden die inneren Teammitglieder so umstrukturiert, dass eine für den Klienten sinnvolle Gruppendynamik sichtbar wird. Gemeinsam mit dem Klienten wird mit einfacher linealer Fragestellung (z.B. Wie sehen sie die Beziehungen zueinander? Wer steht wo zusammen mit wem? Wer steht dominant im Vordergrund? Wer versteckt sich schüchtern hinter dem Vorhang bzw. unter der Bühne? Wer ist als Außenseiter verbannt und wer passt auf, dass dieser Außenseiter nicht aufkommt? etc.) ein Strukturbild zweiter Ordnung entworfen. Dieses Bild ist sowohl durch benannte Teammitglieder mit ihren jeweiligen Botschaften sowie durch deren Beziehungen zueinander definiert. (vgl. Schulz von Thun, 2004, S. 24)

In einem weiteren Schritt könnte man vom Problembild in ein Lösungsbild wechseln, indem man nach Erkennen der Aufrechterhaltung der Problemdynamik gemeinsam mit dem Klienten die bereits genutzten Ressourcen aufspürt und fokussiert und versucht, durch die Einführung von kleinsten Unterschieden die Problemdynamik zu verstören.

Der Zeitpunkt für einen Wechsel in das Lösungsbild muss für den Klienten passen, es kann für ihn durchaus hilfreich sein, zunächst im gegenwärtigen Problem zu verweilen!

Ein mögliches – aber keineswegs vorgeschriebenes – hilfreiches Ritual, um diese Stimmen in sich leichter herauszufinden könnte so gestaltet werden, dass in einem Raum zuerst mehrere Stühle aufgestellt werden. Der Klient nimmt dann den ersten Platz ein und versucht die erste Stimme zu identifizieren. Anschließend wechselt er den Platz und sucht nach dem nächsten inneren Anteil, usw. Er spricht dann mit dieser Stimme, um deren Bedürfnisse und Belange zu ergründen. Der Klient spricht die Gedanken in der Ich-Form aus. Nachdem die Stimmen gehört wurden, kann die Botschaft des jeweiligen Teammitglieds (Stimme) entschlüsselt werden. Dabei drückt die Botschaft häufig emotionale, motivationale oder kognitive Aspekte aus. Ist die Botschaft bekannt, kann der Stimme ein Name gegeben werden. Name und Botschaft können dann vom Klienten auf Papier geschrieben und auf den jeweiligen Stühlen platziert werden. Namen wie „Der Fleißige“ oder „Der Ordentliche“ können auftreten, aber auch Bezeichnungen wie „Der Besserwisser“ oder „Alleskönner“ finden Verwendung, je nach dem womit sich der Klient am besten identifizieren kann. Durch die Verwendung von Symbolen können Teammitglieder genauer charakterisiert werden.

Ein weiteres brauchbares Ritual, das Innere Team zu erheben, stellt die Möglichkeit dar Bilder zu malen. Der Klient benutzt dabei ein DIN-A4-Blatt oder ein Flipchart, um in sichtbar ordnender und anschaulicher Weise sein inneres Team zu erheben. Die Arbeitsanleitung könnte dann lauten: Malen sie sich mit einem großen Bauch. Dann malen sie die Teammitglieder, welche sich bei ihnen melden und unterscheiden dabei, ob sie groß oder klein sind, sich mehr im Vordergrund oder Hintergrund aufhalten. Achten sie darauf wie sie zueinander stehen (dicht nebeneinander, hintereinander, am Rand…). Geben sie jedem Teammitglied einen Namen und einen typischen Satz. Anschließend zeichnen sie ein wer mit wem – und wer gegen wen arbeitet. (vgl. Schulz von Thun, 2004, S. 42)

Genauso gut könnte man die inneren Personen auf einer Bühne oder gar Drehbühne zeichnen. Schulz von Thun weist mehrfach darauf hin, dass hier jeder seinen eigenen passenden Stil finden soll.

Mit Hilfe des Kommunikationsquadrats kann die Urheberseite der Botschaft genauer

bestimmt werden. Dabei beschreibt eine Seite die Selbstkundgabe, sie zeigt die Identität des Teammitglieds. Auf der Sachinhaltsebene hingegen wird eine bestimmte Weltansicht dargestellt. Was die Teammitglieder vom Teamleiter halten wird auf der Beziehungsseite deutlich und die Appellebene dient dem Teammitglied sein Anliegen auszudrücken. Mögliche Empfänger der Nachrichten können weitere Teammitglieder, der Teamleiter oder auch eine äußere Person sein. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 34) Da das Modell des Inneren Teams von Schulz von Thun mehr phänomenologisch ist (die inneren Wortmelder werden so „ans Tageslicht gebracht“ wie sie erscheinen) und weniger theoriegeleitet, ist die Nutzbarmachung dieser Interventionstechnik für das praktische Arbeiten in der systemische Therapie gut nachzuvollziehen.

2.4. Besondere Merkmale des Inneren Teams

2.4.1. Innere Pluralität

Wie bereits oben ausgeführt, besteht das Innere Team aus den „Stimmen“ im Menschen. Schulz von Thun wollte diese nicht theoretisch beschreiben, sondern hat sie durch Metaphern phänomenologisch dargestellt. Diese Stimmen werden durch verschiedene Ereignisse und bevorstehende Entscheidungen geweckt. Häufig sind mehr wie zwei Stimmen am Geschehen beteiligt. Unter den Phänomenen existieren Stammspieler, die häufiger auftreten als andere und damit wesentliche

Charaktereigenschaften der jeweiligen Person widerspiegeln. Die Gegenspieler sind eine weitere Form und treten in Zusammenhang mit den Stammspielern auf. Sie stehen nicht im Vordergrund und melden sich häufig etwas später zu Wort, z.B. „die Hilfsbereite“ und „die auf sich selbst Achtende“. Die Verbannten, eine weitere Gruppe, wollen nicht gehört werden und verschwinden zeitweise aus dem

Team, um sich aber später wieder deutlich zurückzumelden. Die Stimmen können früh oder spät auftreten, können laut, leise, willkommen oder unwillkommen sein, unabhängig von ihren Inhalten. Die Teammitglieder gehen untereinander verschiedene Beziehungen ein. So entsteht ein eigenes „inneres Betriebsklima“, das den Menschen gut oder schlecht fühlen lässt und damit sein Handeln beeinflusst.

2.4.2. Funktion und Ursprung der erarbeiteten Teammitglieder

Die Teammitglieder können in der Funktion des „Innendiensts“ als auch des „Außendiensts“ tätig werden. Das bedeutet, dass sie im Innenverhältnis die Stimmen darstellen und ihre Emotionen und Gedanken zum Ausdrucken bringen. Im Außendienst sind sie an der Kommunikation beteiligt und können durch die Tonlage im Gespräch zum Vorschein kommen. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 34)

Wie bereits weiter oben erwähnt, ist das Auftreten der Teammitglieder abhängig vom

Kontext. Alltagssituationen aller Art oder besondere Ereignisse wie eine Hochzeitsrede können solche Kontexte sein, aber auch Lebensthemen wie Ehe und Scheidung, die komplette Beziehungsebene, existentielle Fragen usw. führen zu verschieden Teammitgliedern. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 37)

Einige von ihnen werden häufiger vorzufinden sein, sie sind die Stammspieler im Menschen und machen die Persönlichkeit des Menschen aus. Die Stimmen stammen nach diesem Modell aus den Erfahrungen unserer Lebensgeschichte, die wir bis dahin gemacht haben, aber natürlich hat auch die Evolution ihre Spuren hinterlassen.

2.4.3. Innere Führung durch das Oberhaupt

Mit dem Begriff Oberhaupt wird der Teamleiter beschrieben, der Mensch, in den die Stimmen meist ein Durcheinander verbreiten. Zuerst müssen die Teammitglieder identifiziert und das Durcheinander sortiert werden, um eine innere Dynamik herzustellen. Somit lässt sich leichter erkennen, welches Teammitglied mit wem in Verbindung steht und wer Außenseiter oder Antreiber ist.

Die Hauptaufgabe des Teamführers ist ähnlich dem eines Teamleiters in Arbeitssituationen. Zu den Aufgaben des Teamchefs gehört die Kontrolle, wie die „Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung der Situation und Teammitglieder“, die „Moderation von Teambesprechungen“ und das „Konfliktmanagement verfeindeter Mitglieder“. Ein weiterer Aufgabenbereich liegt in der „Förderung einzelner Mitglieder sowie in der Förderung eines kooperativen Gesamtklimas“, „durch Integration von Außenseitern“ und die „Personalauswahl und Einsatzleitung“, um für die entsprechende Situation „die richtige Mannschaft aufzustellen“. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 69)

Steht der Teamchef vor einer schwierigen Situation und merkt, dass die Teammitglieder sich uneinig sind, empfiehlt es sich, um Aufschub zu bitten. Hierdurch kann eine Teamversammlung einberufen werden, um späten Stimmen eine Chance zu geben sich zu melden. Es besteht die Möglichkeit die Probleme des inneren Teams auch offen in das äußere Gespräch mit einzubeziehen. Die Offenheit gibt Transparenz für die Gesprächspartner. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 72) Auch eine Teambesprechung hinter „verschlossenen Türen“ ist möglich, hierbei hält ein Türwächter die Stellung zum Gesprächspartner und verschafft dem Team Zeit, sich mit der Situation auseinander zu setzen. Der Gesprächspartner erfährt nichts von den Problemen im Inneren. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 77) Eine andere Möglichkeit ist der erstbesten Stimme Gehör zu schenken und diese nach Außen zu tragen. Sollte sich ein Nachzügler später melden, könnte die Aussage revidiert werden. Häufig führen solche Schnellschüsse zu Problemen und Unwohlsein innerhalb der Kommunikation der Gesprächspartner. Deshalb ist es von Vorteil, wenn man sich der Tragweite der Aussage des Erstmelders im Vorfeld bewusst wird. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 79)

Wenn es dem Teamleiter gelingt, schnell eine Einigung des Teams herbeizuführen, kann eine gemeinsame Antwort abgegeben werden, bei der viele Teammitglieder involviert sind und die Wahrscheinlichkeit von späteren Aufständen minimiert werden kann. Um die Selbsterfahrung zu verbessern, müssen innere Außenseiter integriert werden und der Mensch muss sich mit ihnen identifizieren, um deren Belange und Eigenschaften besser kennen zu lernen. Die Teambildung wird dadurch weiter gesteigert. In einem gelungenen Wechsel zwischen der Identifikation und Abgrenzung von Teammitgliedern liegt das „Schlüsselprinzip“ für den gesunden weil geordneten Umgang mit sich selbst. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 83)

2.4.4. Innere Teamkonflikte und inneres Konfliktmanagement

Wie in betrieblichen Teams oder anderen zwischenmenschlichen Beziehungen, kommt es auch im inneren Team immer wieder zu Konflikten und Uneinigkeiten zwischen den Teammitgliedern. Wie oben dargestellt, ist es die Aufgabe des Teammanagers diese Konflikte zu managen und aus den Reibungen positive Ergebnisse zu erzielen, ähnlich den Teams in der Arbeitswelt.

Können die Konflikte nicht gelöst werden, entsteht schnell ein schlechtes Betriebsklima im Inneren. Die Folgen einer solchen Situation sind analog zur Außenwelt, „Leistungsminderung und Lähmung, widersprüchliche nebulöse Verlautbarung, Kundenvergraulung“ bis hin zum „Image- und Vertrauensverlust“.

Das bedeutet, die Auswirkungen der Reibungsverluste sind im Inneren zu spüren und im Außenverhältnis noch deutlicher sichtbar. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 120)

Treten Konflikte auf, findet eine Besprechung oder Unterredung statt, um das Problem zu identifizieren und das gemeinsame Ziel des Teams zu finden. Dadurch werden möglichst viele Teammitglieder vereinigt und die Beteiligung sorgt für ein besseres Klima. Wenn Teammitglieder durch Konflikte in den Untergrund verschwinden, sind diese mit Versammlungen nur schwer lösbar. Allerdings darf der Teammanager nicht aufgeben, diese Flüchtlinge zu finden und sie erneut mit einzubeziehen. Gelingt dies nicht bleibt der Konflikt lebenslang erhalten und das Verschleppen raubt wertvolle Lebensenergie.

Die Teamaktivitäten werden ebenfalls durch die Bildung von so genannten „Klumpatschen“ erschwert. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 146) Dabei verbinden sich zwei Teammitglieder zu einem „Klumpatsch“, bei dem die frühere Struktur oder Bedeutung nicht mehr erkennbar ist. Sie füllen viel Raum aus und bremsen die Teamarbeit. Lustlosigkeit oder Müdigkeit sind die Folge. Hier besteht die Aufgabe im Herausfinden der ursprünglichen Teammitglieder und der Suche nach der Ursache für den Konflikt. Ist die Situation so extrem, dass Gespräche nicht mehr möglich sind, muss die Teamsitzung ausgesetzt und die beiden Streithähne mit Hilfe von Konfliktbearbeitungsmethoden wieder versöhnt werden. Ziel ist es, die Synergien zwischen den Mitgliedern zu finden, sie zu aktivieren und keine Neutralisierung der Eigenschaften zuzulassen.

Durch starke Führung und ein souveränes Oberhaupt können Konflikte depolarisiert werden. Die „Gewinnung von Kraft und Stärke“ erreicht die Teamführung durch die Vereinigung von Gegensätzen im Team. Treten einzelne Teammitglieder massiv gegen das Oberhaupt auf, ist die Harmonie im Team gestört. Die Aufgabe des Teamleiters liegt auch hier wieder in der Identifikation solcher polarisierenden Mitglieder. Die Schwierigkeit besteht in der Suche nach dem Zeitpunkt und dem Thema, bei dem dieses Mitglied so massiv auftritt. Das Aufdecken, zu welchen Situationen er auftritt, hilft bereits die Macht des Mitglieds zu schwächen. Nachdem der Übeltäter gefunden wurde, gilt es die unterschwelligen Informationen seiner negativen Botschaften und seines Handelns zu entschlüsseln und nach einem Zusammenhang im System zu suchen. Ein Bewusstwerden der Existenz und Akzeptanz des Widersachers steigert generell die eigene Selbsterfahrung und Weiterentwicklung.

2.4.5. Aufbau und Dynamik der Persönlichkeit

Der Aufbau und die Dynamik der Persönlichkeit mit Hilfe des inneren Teams lassen sich am Besten mit einer Theaterbühne und seinen Akteuren erklären. Wie bereits erwähnt zeichnet sich das Innere Team durch seine Gruppendynamik aus und besitzt keine feste Struktur, was analog auch für die Persönlichkeit des Menschen zutrifft. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 181) So besitzt die Persönlichkeit Stammspieler, die fast immer im Vordergrund stehen und sich durch ihre Vorkenntnisse auszeichnen. Weitere Akteure befinden sich im Hintergrund und stehen aufgrund von Ängsten und alten Wunden ungern im Rampenlicht: Zu ihnen gehören zum Beispiel egoistische oder herrschsüchtige Akteure. Des Weiteren gehören noch die „stillen Wasser“ dazu. Sie besitzen meist ein hohes Potenzial oder Talent, aber sind scheu oder noch unentdeckte Bühnenmitglieder. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 182) Eine gewisse Grundaufstellung besitzt jeder Mensch, sie stellt die individuelle Persönlichkeit dar. Der Teamchef – als der Regisseur der Truppe – hat auch wieder die Hauptaufgabe seine Akteure zu kennen und die Teambildung und Teamentwicklung voranzutreiben. Der Erfolg ist durch die bestmögliche Zusammenstellung des Teams, je nach Situation und Bedürfnissen der Außenwelt möglich. Der Einsatz von Spielern aus dem Hintergrund steigert das Teamgefühl und stärkt die schwächeren Akteure und verleiht ihnen mehr Selbstbewusstsein. Das Aufdecken der „stillen Wasser“ und der Einsatz dieser neuen unbekannt Potenziale und Talente, ermöglicht dem Team Aufgaben und Anforderungen zu lösen, die in der Vergangenheit nicht lösbar waren. Wie im wirklichen Leben gibt es in jedem Team Außenseiter. Um sich ihre Eigenschaften zu Nutze zu machen, müssen sie zuerst identifiziert werden. Ist dies geschehen, sollten sie langsam ins Team integriert werden um Abwehrreaktionen der Teammitglieder zu vermeiden. Die Führung des Regisseurs ist hier wieder gefragt. Auch die Außenwelt reagiert meist etwas verstimmt auf den Einsatz von Außenseitern. Daher ist der Einsatz genau zu überlegen und sinnvoll zu planen. Eine Möglichkeit bietet ein Gegenspieler der eventuelle Defizite ausgleichen kann. Eine Weiterentwicklung dieser Außenseiter bleibt nicht aus, um ihn an die Grundstruktur des Teams und der Außenwirkungen heranzuführen. Die Integration des Außenseiters führt im Idealfall zu weiterer Leistungssteigerung der Gruppen in Innen- und Außensituationen.

2.4.6. Variation innerer Mannschaftsaufstellungen

Nachdem die Persönlichkeit des Menschen, mit Hilfe des Inneren Teams beschrieben wurde, geht es im Folgenden um die Variationen der einzelnen Teammitglieder in Bezug auf den Kontext. Schulz von Thun verwendet die Metapher einer Mannschaftsaufstellung mit Spielern, Sportart und Gegner, um so die Variationen der Teammitglieder zu erklären. Wie in einem Fußballspiel wechselt der Trainer die Spieler, abhängig von der entsprechenden Situation. Aus den vorherigen Ausführungen ist bekannt, dass die Akteure auf einer Bühne tätig sind. Der Mensch besitzt die Fähigkeit, wenn er sich der Teammitglieder bewusst ist, blitzschnell auf neue Situationen zu reagieren. Damit entsteht aus der einfachen Bühne eine Drehbühne, die ja nach Kontext ausgewählt wird. Der ständige Wechsel ist allerdings nur durch flexible Teammitglieder möglich. Allerdings sind die Menschen unterschiedlich schnell in der Änderung des Bühnenbildes. Damit haben es „langsamere Umsteller“ schwer, sich schnell auf eine neue Situation oder einen schnelleren Menschen einzustellen. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 237)

Geht der Wechsel der Teammitglieder zu schnell von statten, geraten die Akteure auf der Drehbühne durcheinander, die Aufstellung entspricht nicht mehr dem Original und die Wirkung nach Außen ist nicht mehr authentisch. Häufig finden solche Ereignisse zwischen dem Geschäfts- und Privatleben statt. Die Aufgabe des Oberhauptes ist es, den Wechsel der Teammitglieder und des Bühnenbildes zu verlangsamen, damit die Spieler genug Zeit haben, sich auf die neue Situation einzustellen. Nach außen hin oder im konkreten praktischen Alltag bedeutet das, das

Gespräch Revue passieren zu lassen und eventuell Rückfragen zu stellen, wenn Unklarheiten bestehen. Ist die Aufgabe zu anstrengend, dann ist es sinnvoll, um eine Pause oder Aufschub zu bitten. Der Teamchef klärt damit ab, ob das Innere Team noch richtig zur äußeren Situation aufgestellt ist und ob eventuelle Veränderungen vorgenommen werden müssen.

Verschiedene Grundeinstellungen führen zu weiteren Variationen der Mannschaftsaufstellung. Die Grundeinstellung entspricht unserer Persönlichkeit, die auf den Kontext wirkt. Treffen die Grundeinstellungen von zwei Gesprächspartnern aufeinander, prüfen sich die Teams gegenseitig, gehen eventuell in Verhandlung, suchen Übereinstimmungen und entscheiden sich für Sympathie oder Antipathie. Stimmt die Chemie bzw. kommt es zu einer Passung der Wirklichkeitskonstruktionen und die Stammspieler der Teams behindern sich nicht in ihrer Außenwirkung, funktioniert das Gespräch.

2.4.7. Inneres Team und Phasen einer Situation

Durch ein situatives Gespür kann der Teamleiter prüfen, ob seine Mannschaft der Situation angemessen aufgestellt ist. Situationen können sich schnell ändern, was eine Anpassung des Teams erfordert. Dies gelingt dem Oberhaupt und seinem Team mit Hilfe von vier Phasen, abgeleitet aus realen Teambesprechungen. Die vier Phasen sind: „Initial-, Aktions-, Integrations- und Umsetzungsphase“. (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 276)

Je nach dem in welcher Phase sich die Situation befindet wird das Innere Team auf- bzw. umgestellt. In der Initialphase findet die Einführung des Außenteams in das Thema statt. Das Innenteam zeichnet sich durch „freundliche Gastgeber oder Situationserklärer“ aus. Sie aktivieren die Außenmitglieder, um sie am Prozess zu beteiligen. Im Anschluss an die Initialphase erfolgt die Aktionsphase, die sich häufig durch die Auseinandersetzung der äußeren Personen auszeichnet. Das Innere Team stellt in dieser geänderten Situation Moderator und Ordnungshüter, damit die Diskussion im Außenverhältnis gesittet abläuft und jeder zu Wort kommt. In der anschließenden Integrationsphase, in der keine neuen Erkenntnisse mehr gefunden werden, übernimmt das Innere Team die Aufgabe, den Prozess

der Auseinandersetzung zu stoppen, Bilanz zu ziehen und die Ergebnisse

zusammenzufassen. Durch Ordnungswächter, Moderator und Schlichter wird eine Einigung im Außenteam erzielt. Die letzte Phase ist die Umsetzungsphase. In ihr übernimmt das Innere Team Planungs-, Kontroll-, und Begleitungsaufgaben,

nachdem es vom Teamchef erneut an die Situation angepasst wurde.

Das Oberhaupt benötigt eine große „personelle Bandbreite“ und „flexible Umstellungsfähigkeiten“ sowie ein „situationslogisches Verständnis“ um zu wissen, wann er welchen Akteur in welchem Team einsetzt.

Treten Unstimmigkeiten in den Inneren Teams in Bezug auf die Situation auf, müssen diese lokalisiert werden. Unstimmigkeiten in der Teamaufstellung der Gesprächspartner führen zu keinem positiven Ergebnis, wie aus den vorherigen Kapiteln bekannt ist. Eine Situation zeichnet sich durch einen Situationsgehalt aus, der von transparent bis zu „neblig“ reicht und kann stimmig oder unstimmig sein. Ziel des Moderators sollte sein, dass eine Situation transparent und stimmig (systemisch: passend) für alle ist. Durch diese Stimmigkeit und Transparenz können die inneren Teams bestmöglich ausgesucht werden.

Im Anschluss an erlebte Situationen treten beim Teilnehmer hin und wieder Fragen

oder Dinge auf, die er gerne während der Kommunikation gesagt hätte, aber keine

Gelegenheit bekommen hat. Die Aufgabe des Teamchefs ist es, herauszufinden welches Teammitglied am besten diese Frage oder Aussage erledigen könnte. Befindet sich niemand im Team sucht der Teamleiter nach einer zusätzlichen Besetzung und überprüft seine Wahl in der nächsten Situation. Wenn Teammitglieder in bestimmten Situationen „ständig stören“ und „dazwischen funken“, was sich auch auf das Außenverhältnis auswirkt, handelt es sich um eine Fehlaufstellung. Der Teamchef muss das Team umstrukturieren und eine eventuelle Neuaufstellung konzipieren bzw. das Team weiterentwickeln, um diese Situationen zukünftig zu vermeiden.

Nachdem das Innere Team nach den Ideen von Schulz von Thun in wesentlichen und groben Grundzügen betrachtet wurde, werden im Folgenden Teile dieser Interventionstechnik an einem praktischen Beispiel bestimmter Problembeschreibungen eines Klienten aus der systemischen Therapiearbeit erläutert.

 

3. Ausschnitte aus der praktischen Therapiearbeit

3.1. Innere Patt-Stellung oder „Man tritt auf der Stelle“

Im nachfolgenden möchte ich Teile dieser Interventionstechnik anhand eines Falles eines jungen Erwachsenen zeigen, dessen Problembeschreibungen mit einem „Stau“ oder scheinbarem Stillstand in seiner gegenwärtiger Lebensphase zu tun haben.

Dabei soll das Intervenieren nicht einem Selbstzweck dienen, sondern – von einem systemischen Blickwinkel aus betrachtet – bedeutsame Unterschiede in die Therapiearbeit einführen, um ein „Aufweichen“ einer auf vielen Ebenen des Lebensalltags des Klienten festgefahrenen Situation zu ermöglichen; der Klient soll – behutsam begleitet – ein kleines Stück „beweglicher“ werden. Diese Beweglichkeit, dieser neu gewonnene innere Raum soll dann für nächste Anliegen und Ziele des Klienten nutzbar gemacht werden. Die Hypothese „Alles Lebendige ist im Fluss“ darf hier unterstellt werden, nicht ohne dabei zu vergessen, dass zahlreiche alltägliche Bereiche des Klienten ohnehin im Fluss sind und als solche nicht oder nur schlecht wahrgenommen werden. Es soll an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass ein Wandel sehr wohl auch verzögert oder untersagt werden kann! „Symptomverschreibungen in all ihren Varianten laufen schließlich darauf hinaus, den Klienten das zu verschreiben, was sie als störend oder nicht beeinflussbar erleben„. (Brandl-Nebehay, Rauscher-Gföhler & Kleibel-Arbeithuber, 1998, S. 215)

Auch dadurch kann der Klient an „Beweglichkeit im Alltag“ gewinnen und diese wird dann auf paradoxe Weise eingeübt. Dazu ist es notwendig in Co-Kreation zwischen Therapeut und Klient einen passenden Weg zu konstruieren, bisher versperrte oder neue innere Räume zu betreten, um schließlich Veränderung sichtbar initiieren zu können. In der nachfolgenden Falldarstellung wird behutsam versucht, innere Patt-Stellungen aufzuspüren und „weicher zu machen“, um den Zugang zu den Ressourcen des Klienten in Hinblick auf selbst gewählte Ziele und Lösungen wieder möglich zu machen.

3.2. Ausschnitte aus der Therapiearbeit mit Herrn Markus L.

3.2.1. Das Erstgespräch

Markus L. (Name wurde geändert) wird von seiner Tante in meine private Praxis begleitet. Sie war es auch, die telefonisch den Termin vereinbarte und meinte, es ginge darum, dass Markus seit längerer Zeit in ein „depressives Loch“ gefallen sei, er bräuchte jemanden, mit dem er sich unterhalten kann, der ihn versteht. Sie meinte sie würde Markus zum Erstgespräch begleiten aber nicht daran teilnehmen.

Das erste Treffen mit Markus dauert im Einzelsetting rund neunzig Minuten. Markus ist 21 Jahre alt und besucht derzeit die Abendschule am Henriettenplatz.

Er hat die 7. Klasse an einer AHS abgebrochen nachdem er zweimal die Klasse wiederholt hat. Daraufhin hat er sich zweimal für eine Ausbildung als Behindertenpädagoge beworben, wurde aber nicht genommen.

Im Anschluss daran hat er ein Jahr als Fitness-Trainer gearbeitet, was er aber als nicht optimal für ihn beschreibt. Dann hat er ein halbes Jahr nichts gemacht bevor er den Zivildienst ableistete. Seit einem weiteren halben Jahr ist er nun arbeitslos. Markus hat derzeit keine Freundin. Seine Mutter (44 Jahre) arbeitet als Shiatsu-Masseurin und sein Vater (43 Jahre) ist Tontechniker bei einer Filmproduktionsfirma. Die beiden sind seit 22 Jahren verheiratet. Markus ist ein Einzelkind und wohnt seit einem Monat bei seinen Großeltern mütterlicherseits (Hertha 86 Jahre und Anton 84 Jahre). Er ist vor einigen Wochen bei seinen Eltern ausgezogen weil diese kein Verständnis für ihn hätten. Er beschreibt den Vater als jemanden der in seiner „Vaterrolle““ permanent davon gelaufen ist und die Mutter als jemand, die sich in „esoterische Selbsthilfe-Gruppen“ flüchte. Er hat keine psychotherapeutische Erfahrung und ist auf Anraten seiner Tante (hat selbst gute Therapieerfahrungen gemacht) zum Erstgespräch erschienen.

Die Problembeschreibung von Markus ergibt folgendes Bild: Von einer Metaebene aus betrachtet befindet sich der Klient seit dem Schulabbruch in einer Phase der Orientierungslosigkeit (Was ist los mit mir?) und intensiven Selbstbeobachtung. Er formuliert dies folgendermaßen: „Ich bin liegen geblieben in meinem Leben“. Die aktuellen Symptome (auf Denken, Fühlen und Verhalten bezogen) sind permanenter Stress und Überforderung, ein Gefühl des „Neben-Sich-Stehens“, Erschöpfung, Zwangsgedanken und schlechtes Schlafen, ein Kreislaufkollaps, eine schlechte Konzentrationsfähigkeit, ein oftmaliges „Sich den Kopf zerbrechen dass in seinem Leben nichts weitergeht“ sowie wenig Appetit auf Nahrung. Markus hat sämtliche ärztliche Untersuchungen machen lassen, welche ihm allesamt körperliche Gesundheit bescheinigen.

Bei der Problemkontextualisierung ergeben sich folgende Aspekte: Der Klient erlebt die Beziehung zu seinen Eltern seit einigen Jahren als belastend. Mit dem Vater war es nie möglich ernstere Gespräche zu führen da dieser dann permanent „die Flucht ergriffen hat“. Mit seiner Mutter habe Markus jahrelang „im Kreis geredet“, das war für beide sehr erschöpfend. Zudem habe er die Beziehung seiner Eltern als „befremdlich“ empfunden, da der Vater mehrmals eine „Auszeit“ in der Beziehung zu seiner Frau nahm. Markus meint er habe vor allem die finanzielle Belastung der Mutter stark gespürt und sich schon damals „den Kopf darüber zerbrochen“ und unter Schlafstörungen gelitten.

Wenn Markus mit sich alleine ist und keine Ablenkungen hat, dann bekommt er das Gefühl es könne ihn „umhauen“, egal ob das in der U-Bahn oder vor dem Fernseher ist. Vor drei Wochen musste er – während er mit seinem Auto fuhr – auf einen Parkplatz fahren um diesen Zustand zu überwinden. Er führt das darauf zurück, dass er sich intensiv um seine derzeitige Situation Gedanken mache, wo einfach nichts „weitergeht“. Das Verhalten das aus diesen Erfahrungen resultiert bezeichnet er als ein „Liegenbleiben“, welches einen Rückzug von sportlichen und anderen sozialen Kontakten mit Freunden bedeute.

Als erste auffallende Leitdifferenz konnte erarbeitet werden: Einerseits sehnt sich Markus nach einem regelmäßigen Tagesablauf sowie einem stetigen beruflichen Weiterkommen, zunächst mit dem Abschluss der Abendschule. Auf der anderen Seite setzen ihn Pflichten stark unter Druck, so z.B. die kommende „Prüfungswelle“ an der Abendschule sowie die Notwendigkeit sich einen Teilzeit-Job zu suchen. Einerseits kommt es beim „Liegenbleiben“ nicht zur erhofften Entspannung (oft ist sogar das Gegenteil der Fall), andererseits erzeugt allein schon der Gedanke an eine Tagesstruktur auch wieder Stress.

Als erste Zielbeschreibung wurde zunächst folgendes skizziert : Der Klient möchte unbedingt seinen Rhythmus im Alltag „umdrehen“: Anstelle vom erprobten „Liegenbleiben“, welches ein spätes Aufstehen in der Früh und die Vernachlässigung der Abendschule bedeutet, sowie unregelmäßigen Mahlzeiten und das häufige Erleben von Langeweile, soll nun ein geregelter Alltag den Beginn eines neuen sinnvolleren Lebensmodells einleiten. Damit soll regelmäßiges und effektives Lernen möglich sein, schließlich soll in zwei Jahren die Abendschule mit Matura erfolgreich abgeschlossen werden. Körperliche Kräftigung und ein „Sich-Selbst-Mehr-Bewusstsein“ sollen mehr Freude an der Wiederaufnahme an sozialen Kontakten sowie eine stärkere Abgrenzung für seine eigenen Standpunkte bewirken.

Wir vereinbaren dazu zunächst acht Doppelstunden im Einzelsetting, zu Beginn in wöchentlichen Abständen, danach je nach Bedarf des Klienten.

3.2.2. Die zweite Sitzung – Eine Metapher als Ausgangspunkt

Die Therapiearbeit in der zweiten Sitzung beginnt mit einem genauen Nachfragen meinerseits bezüglich der Problembeschreibungen und Ideen über mögliche Problemzusammenhänge des Klienten. Dadurch soll der Klient kleine Unterschiede erzeugen, die seinen Blick auf die Problemkonstrukte verändern bzw. zumindest leicht verstören könnten. Das Aufdecken von Ressourcen und bisherigen Lösungsversuchen, die bereits erfolgreich genutzt werden, erscheint dabei hilfreich und ermutigend. So werden auch sämtliche als stark negativ beschriebenen Symptome nicht immer als gleich belastend wahrgenommen. Außerdem hat Markus Entspannungstechniken für sich entwickelt (spezielle Atemübungen), die vor allem präventiv sein Wohlbefinden verbessern. Leichtes Krafttraining sowie Spaziergänge in der Natur stärken seinen Kreislauf und machen „frei im Kopf“. Mit dem Auszug von zu Hause und Wohnen bei den Großeltern hat sich der Stress nachhaltig ein wenig reduziert, die Großeltern werden als toleranter und liberaler beschrieben als die Eltern. Aber auch in Bezug auf die Beziehung zu seinen Eltern ist es so, dass Markus nicht auf allen Ebenen nicht verstanden wird und Stress erlebt. Die Urlaube und sämtliche Feiern mit den Eltern wurden oftmals spaßig und kraftspendend erlebt. Mit dem Vater gibt es gemeinsame Interessen bezüglich Klavierspielen und Musik an sich, mit der Mutter kann er sich über „Familiengeschichten“ gut austauschen. Dabei verhandeln wir im Therapieverlauf jene Lösungsversuche die bereits gut funktionieren und solche, die vielleicht gegenwärtig das Problem „Liegenbleiben“ verstärken (z.B. der Zwang sich entspannen zu müssen). Weiters wird die Problembeschreibung „Liegenbleiben“ „refraimed“, um die guten Aspekte in anderen Kontexten herauszufinden. Dabei frage ich auch „gegen den Strich“, ob sein derzeitiges Verhalten im Moment mehr Vorteile als Nachteile für ihn beinhalte, ob er im Moment vielleicht genau richtig für sich sorge. Sämtliche Überschriften werden gesammelt (z.B. Ein Buch über ihre Eltern könnte welchen Titel tragen?) um schließlich zu einer passenden Metapher für seine derzeitige Situation zu gelangen. Der Klient beschreibt sich schließlich als Rennpferd, das in seiner Startbox „eingesperrt“ ungeduldig und nervös auf den Start(schuss) wartet.

Die erstbeste Lösung wäre für ihn, dass das Startsignal ertönt und die Startbox geöffnet wird. Wir einigen uns darauf eine zweitbeste Lösung zu suchen, da wir nicht von den Launen der Rennleitung (Starts können ja bekanntlich mehrmals verschoben oder sogar abgesagt werden!) abhängig sein wollen.

Als ersten Eindruck in der Therapiearbeit – von einer Metaebene aus betrachtet – könnte man den Klienten an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt sehen. Lebensübergänge sind manchmal ein „klebriger Boden“, oft verändern Menschen dabei radikal ihre „Lebensgeschwindigkeit“, gehen stärker nach außen oder nach innen, verhalten sich jedenfalls auf zahlreichen Ebenen anders, als es die Umgebung und der Mensch selbst gewohnt sind. Wichtig erscheint mir dabei eine aufrichtige Anerkennung dessen, was der Klient in einer solchen Übergangsphase durchzustehen hat und auch leistet bzw. an (Übergangs-)Lösungen entwickelt.

Dabei kann es auch hilfreich sein ihn darauf hinzuweisen, dass wir alle durch solche Übergangsphasen hindurch müssen, jeder von uns auf seine eigene Weise.

3.2.3. Die dritte Sitzung – Ein erster Blick hinter die Kulissen

Auf der gemeinsamen Suche nach einer zweitbesten Lösung wollen wir hinter die Symptomebene blicken und treffen schließlich die Vereinbarung, die Erhebung seines Inneres Teams nach Schulz von Thun dafür zu benutzen. Diese Interventionstechnik wird dem Klienten behutsam erklärt folgt nach bereits dargelegten Ausführungen (siehe Kapitel 2. 3. Zur Konstruktion von Inneren Teammitgliedern, Seite 12) und bezieht sich auf die Frage: Was regt sich, rührt sich oder spricht in Ihnen, wenn sie an Ihre derzeitige Lebenssituation des „Liegenbleibens“ und den damit verbundenen Auswirkungen denken?

Dafür soll sich der Klient in Ruhe Zeit nehmen und bekommt manchmal ergänzt: Gibt es noch etwas in Ihnen, das Sie zu diesem Thema spüren oder das sich zu Wort meldet?

Da der Therapieraum groß genug ist, verwenden wir Stühle um die inneren Personen sichtbar zu machen. Der Klient nimmt sich in Ruhe genügend Zeit um „tief in sich zu gehen“ um stimmige Denk- Fühl- und Verhaltensmuster zu benennen und mit einer passenden Botschaft zu versehen. Als Therapeut fungiert man jetzt bestenfalls als Hebamme. Schließlich schreibt der Klient den Namen mit einer Botschaft auf ein DIN-A4-Blatt und legt es auf den entsprechenden Stuhl. Dabei nimmt er nochmals darauf Platz um die Passung ein weiteres Mal zu überprüfen. In einem Strukturbild erster Ordnung stehen acht Stühle in relativer Unordnung im Raum. Hier folgt nun eine Auflistung der Inneren Personen in der Reihenfolge ihrer Entstehung:

 

Der Teamchef bzw. das Oberhaupt (Markus)

Der erschöpfte Orientierungslose: Was ist los mit mir?

Der ungeduldige Perfektionist: Sei perfekt und mach schnell!

Der allzeit Hilfsbereite: Mach es allen Recht, enttäusche niemanden!

Der fanatische Denker: Ich muss auf irgendetwas draufkommen, dann geht’s mir gut!

Der leistungsorientierte Vergleicher: „Gib Gas“, die anderen sind schon viel weiter!

Der stoische Weise: Sei Du selbst und nimm Dir Zeit dafür.

Später: Der traurige Weise

Der egoistische Aufpasser: Respektiere Dich und Deine Grenzen.

Später: Der wütende Bodyguard

 

In einem Strukturbild zweiter Ordnung kann folgendes festgehalten werden:

Markus (der Teamchef) ist „umzingelt“ von vier Stühlen, die nahezu ein Quadrat bilden. Dieses Quadrat setzt sich aus folgenden inneren Personen zusammen:

Dem ungeduldigen Perfektionisten, dem allzeit Hilfsbereiten, dem fanatischen Denker und dem leistungsorientierten Vergleicher.

Die anderen Teammitglieder sind getrennt voneinander in drei Ecken des Raumes positioniert, es handelt sich um den erschöpften Orientierungslosen, den stoischen Weisen und den egoistischen Aufpasser.

Der Klient setzt sich nochmals auf die einzelnen Stühle um nimmt die jeweilige Rolle der einzelnen inneren Teammitglieder ein. Mit kurzen Fragen (Fühlen Sie sich richtig auf dieser Position? Gibt es noch etwas zum Teamchef und zu dessen Thema des „Liegenbleibens“ und seinen Auswirkungen zu sagen?) sollen noch notwendige Korrekturen durch den Klienten möglich gemacht werden. Im Zuge der Befragung nimmt Markus eine Umbenennung zweier innerer Personen vor:

Der stoische Weise ist jetzt der traurige Weise und der egoistische Aufpasser heißt jetzt wütender Bodyguard.

Nach einer vereinbarten Pause von etwa fünf Minuten nimmt der Klient eine Bewertung des neuen Strukturbildes vor. Er nimmt auf dem mittlerweile erhöhten Stuhl des Teamchefs Platz und deutet dabei das ihn „umzingelnde“ Quadrat als Startbox in dem sich das Pferd befindet. Er kann die vier dominanten Teammitglieder deutlich sehen und deren Botschaften laut hören. Die anderen drei nimmt er schwächer wahr, sie rufen leise und stetig ihre Botschaften.

Um dieses Bild besser verankern zu können sucht sich der Klient eine Position im Raum um das Strukturbild in seiner Gesamtheit fotografieren zu können. Um die Namen der Teammitglieder für das Foto besser sichtbar zu machen beschriften wir Papier-Kärtchen und stellen diese gut erkennbar auf die jeweiligen Sessel.

Als Hausübung soll Markus das Foto in seiner Alltagsumgebung sichtbar platzieren.

3.2.4. Die vierte Sitzung – Wir erfahren mehr    

Der Klient hat mir noch am selben Tag das Foto elektronisch übermittelt und zu Beginn des vierten Treffens erzählt er, dass er es als Hintergrundbild auf seinem Notebook installiert habe. Nachdem also in einer ersten Phase sämtliche Kontrahenten identifiziert worden sind geht es jetzt um eine monologische Selbstoffenbarung: Was haben diese inneren Teammitglieder zu sagen, wofür stehen sie und welche Gefühle und sonstigen Regungen kommen dabei hoch? Nachdem das Strukturbild zweiter Ordnung wieder aufgebaut ist, lassen wir die vier Personen aus dem Quadrat nacheinander zu Wort kommen. Dazu schlüpft Markus nacheinander in die Haut seiner inneren Personen und nimmt dabei jeweils auf dem vorgesehenen Stuhl Platz.

Als Therapeut leite ich die Befragung wieder behutsam ein und weise zunächst darauf hin, dass sich Markus bewusst genügend Zeit und Ruhe nehmen soll in die jeweilige innere Person zu schlüpfen. Er soll zunächst prüfen, ob er dort innerlich angekommen ist. Dabei gilt es nichts zu erreichen oder hohen Erwartungen zu genügen, sonst würden wir nur einer bestimmten inneren Person „auf den Leim gehen“ und würden schlimmsten Falls nichts Neues erfahren. Wir wären dann „so klug als wie zuvor“.

Als ein dazu passendes Ritual haben wir folgendes vereinbart: Markus nimmt auf dem jeweiligen Stuhl Platz. Er schließt die Augen und atmet langsam dreimal tief ein und aus. Nach einer bestimmten Zeit hebt er kurz die rechte Hand und teilt mit, dass die Befragung beginnen kann. In dieser Choreographie wird der Prozess bewusst direktiv verlangsamt um differenzierte Denk- Fühl- und Verhaltensmuster möglichst authentisch freizulegen.

Die Befragung beginnt mit dem Hinweis, dass die jeweilige innere Person die Fragen nicht beantworten soll, wenn sie dies im Moment für richtig hält.

Die erste Frage lautet: Stimmt es überhaupt, dass Markus in seinem gegenwärtigen Leben „liegen geblieben ist“ – und wenn ja – was können Sie uns dazu sagen?

Die zweite Frage lautet: Wie machen Sie sich bei Markus bemerkbar?

Die dritte Frage lautet: Was ist Ihre Aufgabe in dieser Angelegenheit?

Vom ungeduldigen Perfektionisten erfahren wir zusammengefasst folgendes:

„Es ist kaum auszuhalten wie lange Markus nun schon planlos „herumliegt“. Das nervt mich extrem. Er ist gesund und hat keine körperlichen Behinderungen. Es würde ihm gut tun einige Dinge konsequent voranzutreiben. Bemerkbar mache ich mich über sein Nervensystem. Meine Aufgabe besteht vor allem darin, dass Markus seine Talente nicht verwelken lässt.“

Der allzeit Hilfsbereite lässt uns wissen: „Markus braucht ja auch die Hilfe von anderen in seinem Leben, gerade jetzt wo er „auf der Stelle tritt“. Auf der anderen Seite möchte er seinen Eltern und Freunden mitfühlend helfen, er möchte ihnen auch etwas zurückgeben können. Das tut ihm gut, er fühlt sich dann auch mehr wert. Ich mache mich im Magen und im Bauch bemerkbar. Ich möchte dass Markus beruflich wie privat seine sozialen Fähigkeiten wirksam ausleben kann.“

Der fanatische Denker meint zu den Fragen: „Die Eltern und Großeltern von Markus sind überwiegend „kopforientierte“ Menschen. Ich verstehe das „Nicht vom Fleck Kommen“ von Markus sehr gut. Es gilt herauszufinden was mit ihm los ist. Er benötigt ein klares Ziel und einen brauchbaren Plan sich dieses Ziel im praktischen Alltag zu erarbeiten. Ich mache mich in seinem Kopf mit „kreisenden Gedanken“ und Schwindel bemerkbar. Meine Aufgabe ist es, dass Markus auf etwas draufkommt, das ihn endlich weiterbringt. Dann wird vieles leichter.“

Der leistungsorientierte Vergleicher ergänzt: „Die gleichaltrigen Freunde sind beruflich und privat schon viel weiter wie Markus, er ist ziemlich „hinten nach“. Da ist ein eigenartiges Gefühl von Einsamkeit, als wie wenn er für diese Welt nicht geschaffen wäre. Ich mache mich durch „Angstschübe“ bemerkbar. Ich hoffe dass Markus endlich aufwacht aus seiner Lethargie“.

Nach einer Pause von fünf Minuten (der Raum wird gelüftet, der Klient trinkt Wasser und macht leichte Gymnastikübungen) hören wir uns noch die leisen Stimmen an.

Der erschöpfte Orientierungslose beginnt mit einem beherzten Seufzer: „Ja es ist halt im Moment so. Vielleicht ist das seine Bestimmung? Ich zeige mich durch permanente Müdigkeit und manchmal auch Gleichgültigkeit. Meine Aufgabe ist es zu verhindern, dass Markus sich nicht komplett selber fertig macht“.

Der traurige Weise spricht:“ Es ist doch genau richtig so wie Markus im Moment ist. Es hat doch was Schönes wenn man „in den Tag hinein leben kann“, vor allem wenn man das braucht. Viele andere hetzen durchs Leben und schauen dabei nicht glücklich aus. Das ist derzeit nicht der Weg von Markus. Traurig bin ich warum er mir so wenig vertraut und so viel darauf gibt was andere tun und sagen. Ich zeige mich durch „traurige Stunden“ und meine Aufgabe ist es dass Markus erkennt, wie viel er schon richtig gemacht hat in seinem Leben. Das würde ich mir für ihn wünschen.“

Der wütende Bodyguard schließt die Befragung ab: “ Markus schaut viel zu wenig auf sich selbst. Das ist aber in der heutigen Zeit sehr wichtig, denn es gibt zahlreiche Menschen die ihm „auf die Zehen steigen“ und sein Grenzen schamlos übertreten. Dadurch braucht er zuviel Energie für andere und kommt zum Stillstand. Er hört mich von weit her rufen, aber er nimmt mich kaum in Anspruch. Ich möchte aber gerufen werden, ich warte auf seinen Befehl einschreiten zu können. Er wird sonst zum „Mülleimer“ für die Probleme anderer Menschen. Ich mache mich ab und zu durch Wutausbrüche bemerkbar aber er „pfeift mich bald wieder zurück“. Selbst wenn ich einschreiten darf treten die Kugeln gebremst aus meiner Pistole.“

Ich bedanke mich beim Klienten für seine engagierte Kooperation und bitte noch um ein kurzes Feedback zu dieser Intervention. Dabei zeigt er sich überrascht wie viel an Erkenntnissen und neuen Einsichten in ihm hochgekommen sei. Wir erinnern uns an den ursprünglichen Therapieauftrag und wollen in der nächsten Therapiesitzung einige neue Einsichten ordnen um zu sehen, welche Ressourcen auf welche Weise aktuell gezielt aktiviert werden können. Wir vergessen dabei nicht dass kleine Schritte gute Schritte sind.

3.2.5. Die fünfte Sitzung – Dialog, Akzeptanz und was nun?

Nachdem aktuelle Problemsituationen aus dem Alltag des Klienten fokussiert wurden und im Anschluss daran das Strukturbild wieder aufgebaut wurde, kann ein nächster Schritt gewagt werden: Der Klient soll nun in einen inneren Dialog treten. Dabei erinnere ich ihn, dass negative Emotionen, welche durch die Problemaktualisierung zu Beginn der Stunde beim Klienten aufgekommen sind weiterhin Platz haben sollen, dabei aber die Sachebene nicht verloren gehen soll. Markus führt den Konfliktdialog sichtlich aufrichtig und engagiert, indem er eifrig die Stühle wechselt und jeweilige andere innere Personen anspricht. Dabei kommt es meist zu heftigen Vorwürfen gegenüber anderen Teammitgliedern und vor allem gegen das Oberhaupt selbst. Wir legen nach längeren Dialogen immer wieder eine Pause ein. Ich versuche dabei die Quintessenz der Vorwürfe zu reformulieren und mitzuschreiben. Nachdem für uns so etwas wie ein Muster an Vorwürfen erkennbar und verhandelbar wird versuchen wir nun in einem nächsten Schritt das Strukturbild zu adaptieren: Das Quadrat der Markus „umzingelnden“ Mitglieder (Der ungeduldige Perfektionist, der allzeit Hilfsbereite, der fanatische Denker und der leistungsorientierte Vergleicher) hat sich als eine verschworene Bande gezeigt, aber auch die im Raum lose postierten inneren Personen (Der erschöpfte Orientierungslose, der traurige Weise und der wütende Bodyguard) sind enger zusammengerückt, haben sich in der Auseinandersetzung oftmals gefunden. Die Adaption des Strukturbildes nimmt Markus folgendermaßen vor:

Er postiert den Sessel des Oberhauptes in der Mitte des Raumes. Links vor ihm reiht er die vormals leiseren Anteile an, rechts vor ihm postiert er die Mitglieder des Quadrates an. Somit stehen sich zwei Reihen entlang einer imaginären Linie gegenüber. Das Oberhaupt überblickt beide „Fronten“, ähnlich der Position eines Schiedsrichters beim Tennis. Statt nun aufeinander loszugehen – das kennt der Klient ja ohnehin gut, darin ist er Experte – geht es darum in einen neuen Dialog einzutreten, also einen nächsten Schritt nach vorne zu wagen.

Dabei leite ich folgende Fragen an:

Wozu ist es gut, dass Du manchmal auch da bist?

Was kann ich an Dir schätzen?

Wozu brauchen wir einander, damit Markus gut leben kann?

Der Dialog läuft jetzt ruhiger und langsamer ab, manchmal gibt es aber auch keine Antworten, die jeweilige innere Person bleibt dann still.

Dennoch können folgende wertschätzende Feststellungen genannt werden:

Der ungeduldige Perfektionist kann viele Aufgaben im Alltag in höchster Qualität erledigen. Dafür wird er von Familie und Freunden sehr geschätzt.

Der allzeit Hilfsbereite besitzt in der heutigen Zeit ein Talent, das vielen Menschen fehlt. Verlässlichkeit und Kooperation sind mehr denn je gefragte Eigenschaften.

Der fanatische Denker besitzt eine hohe Reflexionsgabe und eine messerscharfe Analysefähigkeit. Ihm kann niemand was vormachen denn er macht sich selbst ein Bild von der Welt.

Der leistungsorientierte Vergleicher hat Wettkampfmentalität. Diese hat Markus in der Vergangenheit schon unter Beweis stellen können.

Der erschöpfte Orientierungslose erlaubt Markus immer wieder eine Auszeit zu nehmen. Er wirkt als Kühlwasser im erhitzten Motor und ermöglicht immer wieder einen wohltuenden Rückzug von der Außenwelt. Dadurch kann Markus wieder zu sich finden.

Der traurige Weise lässt Markus erkennen was er ohnehin schon alles richtig macht in seinem Leben. Er zeigt auch immer wieder Freude und Zuversicht für seinen Lebensweg und ist verantwortlich, dass sich Markus immer wieder selbst aufrichtet.

Der wütende Bodyguard ist eine enorme Kraftquelle für Markus. Wenn er von Markus die Freigabe erhält, tritt er oftmals auch sehr wirksam in Aktion (z.B. Schulabbruch, Auszug bei den Eltern etc.).

Eine neuerliche Fotografie des gegenwärtigen Bildes mit den eben erarbeiteten wertschätzenden Feststellungen beendet unsere Stunde.

Markus soll nun das alte Bild auf seinem Desktop durch die neue Konstellation ersetzen. Es wäre hilfreich, diese Fotografie zum nächsten Treffen mitzunehmen. Zum Abschluss besprechen wir nun das neue Bild als Metapher: Markus meint, dass der innere Kampf im Alltag weitergeht, aber er habe seine Beobachterposition verändert. Er sei aus der Umzingelung des „Quadrates“ herausgestiegen und überblicke nun die Frontlinie, welche aber nun ein Stück weit wertschätzender geworden sei.

Ich bitte Markus zudem eine Beobachtung aus seinem Alltag über einen inneren Konflikt mit den dazugehörigen äußeren Symptomen in die nächste Stunde mitzubringen.

3.2.6. Die sechste Sitzung – Das Oberhaupt entscheidet sich; von der Assoziierung zur Dissozierung

Der Klient zeigt am Beginn der Stunde die Fotos der Strukturbilder und erzählt auch über seinen aktuellen inneren Konflikt, sich regelmäßig Zeit zu nehmen um für die anstehenden Prüfungen im Rahmen der Abendschule zu lernen. Er spüre ein „Hin- und Herwogen“ der Kräfte, die einerseits für Lerndisziplin eintreten und andererseits gänzlich den Tag für Freizeit und leichten Sport nützen wollen. Dabei nehmen wir das Bild von der Frontlinie zur Hand und Markus erklärt: Es sei ein Gezerre zwischen Sollen und Wollen, zwischen Kräften die antreiben und Kräften die erlauben. Wir einigen uns darauf die Fronten als „Antreiber“ und „Erlauber“ zu bezeichnen. Auf meine Frage ob Markus als Oberhaupt zwischen die Fronten geraten sei meint er, dass er momentan „aus der Schusslinie sei“, dass er aber beide Kräfte gut verstehe und mit beiden emotional mitgehe.“ Schließlich wollen beide Seiten ihm zu einem besseren Leben verhelfen, die Problematik wird durch die Radikalität ihrer Ansichten verstärkt bzw. versteift. Nur zweimal sei es Markus in dieser Woche gelungen, sich für die anstehenden Deutsch- und Mathematikschularbeiten gezielt vorzubereiten. Für eine – seiner Meinung nach – solide Vorbereitung hätte es mindestens doppelt so viel an Zeit benötigt. Die restliche Zeit wurde für Sport und Faulenzen aufgebraucht. Das hat ihm gut getan aber die Antreiber melden sich permanent zu Wort. Markus führt seine Schlafstörungen und leichten Panikattacken darauf zurück.

Nun wenden wir uns nochmals dem Bild mit den Fronten der Antreiber und Erlauber zu. Ich nenne sie mit Erlaubnis des Klienten „heilsame Gegenspieler“ und biete Markus an, diese an einen runden Verhandlungstisch zu bringen. Dazu skizziert der Klient die inneren Personen auf einem DIN A3 Blatt (als Überschrift wählen wir „Gelungene Prüfungsvorbereitung“) an einem runden Tisch und wir betrachten nochmals diese inneren Teammitglieder bezüglich seiner aktuellen Problemstellung.

Da Markus bisher die inneren Anteile mittels intensiver Assoziierung in Bezug auf konkrete Problem- und Fragestellungen “ zum Leben erweckt hat“, soll nun in einem nächsten Schritt der Dissoziierung geklärt werden, welches Teammitglied bei den Prüfungsvorbereitungen Vorrang haben soll. Markus soll als Oberhaupt zu der Frage einer soliden Prüfungsvorbereitung von einer höheren Warte aus festlegen, wer mehr Raum einnehmen soll bzw. welche Teammitglieder sich gegenseitig ergänzen können. Somit blickt der Klient auf einen inneren Pool von Ressourcen, welche – richtig eingesetzt – den Weg zu einer als vom Oberhaupt solide empfundenen Prüfungsvorbereitung ebenen können. Markus blickt jetzt als Manager auf sein Inneres Team (skizziert auf einem DIN A3 Blatt) und soll nun eine strategische Entscheidung treffen. Für ein regelmäßiges Lernen fokussiert er folgende Aspekte seiner inneren Mitglieder und fügt sie dem DIN A3 Blatt hinzu:

Der ungeduldige Perfektionist soll sich darauf konzentrieren dass Markus die Prüfungen mit einem Genügend abschließt. Er ist verantwortlich für eine sinnvolle Eingrenzung des Lernstoffes (man kann nicht alles Lernen) sowie für die Regelmäßigkeit von kurzen aber konzentrierten Lerneinheiten. Bei der Eingrenzung des Lernstoffes sollen die Informationen anderer Schüler eingeholt werden.

Die Perfektion soll hier den Boden bereiten, die Wahrscheinlichkeit eine positive Note bzw. ein „Genügend“ zu erwirken, entscheidend zu erhöhen. Der allzeit Hilfsbereite soll sich im Moment exklusiv Markus zuwenden. Er ist für die Belohnungen im Alltag zuständig.

Der fanatische Denker sollte sich in dieser Angelegenheit zurücklehnen, er weiß schließlich dass die anderen Mitglieder besser geeignet sind das Problem zu lösen. Falls dies manchmal nicht gelingt soll er dem Hilfsbereiten beistehen, Ideen für Belohnungen im Alltag zu entwickeln.

Der leistungsorientierte Vergleicher soll erwirken, dass Markus seinen Lernfortschritt ausschließlich mit sich selbst vergleicht. Dazu soll ein kleines Lerntagebuch geführt werden.

Der erschöpfte Orientierungslose darf jederzeit einschreiten wenn es zuviel wird. Er soll dabei vom traurigen Weisen unterstützt werden daran zu erinnern, dass Rückfälle notwendig und erlaubt sind und diese den Erfolg nicht verhindern.

Der wütende Bodyguard soll dann den Impuls zum Weitermachen geben: „Zieh ein Mindestkonzept weiterhin durch, mach Dir dieses Geschenk“.

Zur Verankerung soll Markus diese neu entwickelten Erkenntnisse als eine Art „Strategiepapier“ über seinen Arbeitsplatz gut sichtbar anbringen. Dazu soll ein kleines Lerntagebuch geführt werden, wo sämtliche Gedanken und Gefühle Platz haben können. Markus hat nun als Oberhaupt die alleinige Verantwortung übernommen, dieses Projekt zu überwachen und zu dokumentieren.

Es ist Teil des Arbeitsbündnisses zwischen Therapeut und Klient und Voraussetzung für eine weitere wirksame therapeutische Zusammenarbeit. Dabei möchte ich beim nächsten Treffen von Markus wissen, in welcher Form die Teammitglieder mehr oder weniger hilfreich zur Lerndisziplin beigetragen haben und wie das Oberhaupt mit Rückschlägen umgegangen ist. Dazu kann der Klient sein Lerntagebuch mitbringen.

Disziplin definieren wir dabei nicht als „Zwang zum persönlichen“ Glück sondern als bewusste Entscheidung sich mit der Erreichung eines selbst gesteckten Ziels zu belohnen.

3.2.7. Die siebente Sitzung: Lösungsfokussierung, Verankerung und Einübung als erste kleine Anstöße im Alltag

Der Klient berichtet gelassen von zwei positiven Schularbeitsergebnissen und einer insgesamt geglückten Lernvorbereitung. Aus seinem kleinen Lerntagebuch beschreibt er die Tage der Lernvorbereitungen. Dabei sei es ihm unterschiedlich ergangen. Der Perfektionist in ihm war zwar oft ungeduldig (das wird nicht reichen, doch es besteht zumindest eine Chance auf eine positive Note), aber nicht mehr so dominant spürbar (die Schularbeiten kannst Du alle vergessen). Die Auswirkung war, dass Markus täglich zumindest eine „kleine Portion“ einer Lerneinheit absolviert hat, und war es auch nur eine kurze Wiederholung für zwanzig Minuten. Dabei konnte er sich besser als früher mit zwei Mitschülern absprechen, welche Lerninhalte auf jeden Fall zur Prüfung kommen werden und welche Inhalte ausgelassen werden können. Dadurch wurde der Lernstoff überschaubarer, auch wenn dieses „taktische Spekulieren“ ein gewisses Risiko beinhaltete. Beim Lernen traf man sich teilweise in einem Cafe, diese Lernumgebung habe Markus gut getan. Die Hilfsbereitschaft sich selbst gegenüber hat sich Markus immer wieder aus dem „Strategiepapier“ über seinem Arbeitsplatz in Erinnerung bringen müssen. Dabei hat er sich mehrfach eine „Playlist“ seiner Lieblings-Musik auf seinen MP3-Player zusammengestellt. Die Musik wurde dann bei täglichen kürzeren oder längeren Spaziergängen genossen. Weiters hat sich Markus täglich ein kleines Zirkeltraining ausgedacht. Dabei hat er einige Übungen für sich zusammengestellt: Vom Springschnur-Springen über „Sit-ups“ bis hin zum Trainieren mit leichten Hanteln. Dabei waren die Übungen kurz gehalten und ohne Zwang eine bestimmte sportliche Leistung erbringen zu müssen. Die Einheiten dauerten nie länger als zwanzig bis dreißig Minuten. Auch mit den Lernkollegen hat sich Markus am Abend ein paar Mal in einem Lokal getroffen. Das fanatische Denken und leistungsorientierte Vergleichen mit anderen Menschen war in dieser Zeit im Hintergrund. Bei Markus herrscht nun das Gefühl vor, in einem überschaubaren Alltag sein eigenes Tempo leben zu dürfen. Er habe den dringenden Verdacht, dass er auch schon früher auf sich schauen konnte, nun aber auf eine bewusstere und geordnetere Art und Weise. Dazu beobachte er jetzt auch sein Umfeld irgendwie anders. Er sehe, dass jeder versucht auf seine Weise voranzukommen und dass jedes Vorankommen auch seinen Preis habe. Natürlich hat es auch Tage mit „viel Rückzug“ gegeben, aber statt einem permanenten Frust-Gefühl gab es eher Gedanken in Richtung “ Das brauche ich jetzt zum Aufladen“. Da der Klient nichts über seine negativen Symptome erzählt, spreche ich ihn offen darauf an. Natürlich sind Kopfschmerz und gelegentliches Aufwachen in der Nacht oft mühsam. Auch gab es nochmals eine kleinere Panik-Attacke in der Nacht. Die Wucht dieser bedrängenden Symptome sei aber im Moment bei weitem nicht so dominant. Er verweist dabei auf das „Stategiepapier“, wonach Ehrenrunden (Rückschläge) normal und erlaubt seien. Diese Symptome werden gegenwärtig eher als gelegentliche Begleiter wahrgenommen. In diesem Semester hat Markus noch in zwei weiteren Gegenständen positive Schularbeitsnoten zu erbringen. Er möchte zumindest eines der beiden Fächer schaffen und das andere notfalls im Rahmen eines Kolloquiums im Herbst nachholen. Bei den anderen offenen Fächern gilt es Präsentationen zu entwerfen und abzuhalten, eine Sache die Markus gerne macht. Die Gestaltung seiner Lerneinheiten hat der Klient als gelungen erlebt, noch dazu haben die Ergebnisse gepasst. Mit dem Weiterführen des Lerntagebuches (zumindest ein Satz pro Tag soll aufgeschrieben werden, inhaltlich ist alles erlaubt) und dem täglichen Blick auf das „Strategiepapier“ vereinbaren wir, das gegenwärtige Lernprogramm weiter zu betreiben, genauso wie den täglichen Fitnesszirkel und die täglichen Belohnungen. Wir wollen mit einem bewussten Gleichgewicht von Anspannung und Entspannung vor Augen, durch das restliche Schulsemester „wandern“. Rückschläge sollen uns begleiten und daran erinnern, dieses Gleichgewicht immer wieder neu herzustellen.

3.2.8. Die achte Sitzung: Eine erste Bilanz

Markus hat das Schulsemester mit einem negativen Gegenstand abgeschlossen. Er kann ins nächste Semester aufsteigen, muss aber den negativen Gegenstand im Herbst im Rahmen eines Kolloquiums nachholen. Der Klient zeigt sich mit dem abgelaufenen Schulsemester insgesamt zufrieden. Er habe einen Lernrhythmus entwickelt, den er relativ leicht einhalten konnte und der durchwegs gute Ergebnisse brachte. Daneben hat er den Sportrhythmus leicht ausgebaut und auch auf die täglichen Belohnungen geachtet. Regelmäßiges Essen bei den Großeltern sowie gelegentliches Fortgehen am Abend tun gut. Auch „Auszeiten“ vom Lernen oder Sport wurden in Anspruch genommen, allerdings nicht mehr so ausgedehnt wie früher. Auf Basis dieser Beschreibung und der Tatsache einer bisher dreimonatigen Therapiearbeit beschließen wir in dieser Stunde Rückschau zu halten, um eine erste Bilanz unseres Arbeitsbündnisses zu ziehen.

Dazu fasse ich zunächst meine Beobachtungen für den Klienten anerkennend zusammen: Der Weg unserer Zusammenarbeit begann mit der Problembeschreibung „Ich bin liegen geblieben in meinem Leben“. Diese Behauptung wurde vom Klienten mit zahlreichen konkreten Beispielen veranschaulicht. Die Beispiele bezogen sich dabei vor allem auf Ausbildung und Beruf sowie auf den Tagesablauf des Klienten.

Daneben gab es eine Auflistung zahlreicher belastender Symptome wie eine permanente gestresste Anspannung, ein Gefühl der Überforderung und des „Neben-Sich-Stehens“, eine schlechte Konzentrationsfähigkeit und Schlafstörungen sowie einen Kreislaufkollaps.

Da sämtliche ärztliche Untersuchungen keine Ergebnisse brachten, konnte man als passende „Headline“ all dieser Erzählungen folgende Formulierung wählen:

„Ich habe trotz intensiver Selbstbeobachtung keine Ahnung was mit mir los ist“.

Der Klient habe trotz aller Widrigkeiten Mut bewiesen und es gewagt, sich seinen inneren Kämpfen und Ressourcen zuzuwenden, hier eine Entdeckungsreise anzutreten. Sein Mut und seine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstreflexion haben es möglich gemacht, innere Anteile aufzuspüren und für sich zu nutzen. Dies war nur möglich weil sich der Klient ernsthaft und aufrichtig auf therapeutische Interventionen einlassen konnte. Dabei weise ich darauf hin, dass es bei der Arbeit mit inneren Anteilen einer ausgeprägten persönlichen Reife bedarf. Ich erwähne, dass beim Arbeiten mit zahlreichen anderen Klienten Klagen und Vorwürfe gegen Personen und Umstände derart viel Platz einnehmen, dass hier Therapieerfolge zunächst gar nicht zu erwarten sind. Weiters wird der Klient daran erinnert, dass Krisenzeiten keine Quittung für ein falsch gelebtes Leben sind, sondern Vorboten anstehender persönlicher Entwicklungen. Krisen sind vielmehr einzigartige Gelegenheiten für notwendige Veränderungen. (vgl. Tomm, 2004, S. 247) Auch bei der Zielarbeit zeigte sich Markus stets kooperativ und bemüht, Ziele nicht nur formulieren zu können sondern auch laufend auf deren Stimmigkeit überprüfen zu können (z.B. macht ein Schulabschluss Sinn für mich).

Abschließend würdige ich seine Fähigkeiten, therapeutische Arbeitsvereinbarungen selbstwirksam im Alltag auszuprobieren, beizubehalten und verlässlich darüber berichten zu können.

Der Klient fasst seine Beobachtungen folgendermaßen zusammen:

Er berichtet über eine verzweifelte Ausgangslage mit all den angeführten Problemen, verbunden mit der Hauptschwierigkeit mit niemand darüber reden zu können. Dazu keimte Resignation auf, da ihn ohnehin niemand verstehen würde, denn er verstehe sich und seine Situation ja selbst nicht. Das Bild einer „einengenden Startbox“ passte genau zu seinen Empfindungen, doch war nicht geklärt, „“wer oder was da einengend und bedrängend am Werke sei“. Es habe ihm sehr geholfen, über jene Aspekte und Kräfte in seinem Inneren schrittweise Bilder zu entwerfen (bis hin zum finalen Strategiepapier), um diese zu Hause sichtbar für den Alltag anzubringen. Durch eine gewisse Ordnung einiger Aspekte und Kräfte in Form von inneren Personen sei er jetzt nicht mehr passiv „zwischen die Fronten geraten“, sondern kann je nach Situation und persönlicher Wahl auf verschiedene Potentiale aktiv zurückgreifen. Es besteht aber keine Qual der Wahl, da auch Rückschläge bzw. „Ehrenrunden“ normal und erlaubt sind. Er sieht jetzt, dass es jeden Menschen mit seinen inneren Potenzialen ähnlich ergehe, nicht was die konkreten Teammitglieder mit deren spezifischen Botschaften betrifft, wohl aber, dass jeder sein Inneres Team den Herausforderungen im Alltag ständig anpassen muss. „Survival of the fittest“, wenn man es hart nach Darwin formulieren will, meint der Klient lächelnd und nicht „Survival of the strongest“. Die wichtigste Erkenntnis sei für ihn aber eine Reduktion radikaler Vorstellungen. Systemisch könnte man von einer „Entschärfung“ aktuell beobachtbarer Leitdifferenzen sprechen bzw. von einer Depolarisierung dysfunktionaler Muster. Daher scheint nach aktueller Vorstellung des Klienten eine entsprechende Reformulierung seiner inneren Teammitglieder passend:

Der wütende Bodyguard wird zum wirksamen Bodyguard reformuliert, der traurige Weise zum sanften Weisen, der ungeduldige Perfektionist zum qualitätsbewussten Umsetzer, der erschöpfte Orientierungslose zur notwendigen Aufladestation etc.

In Bezug auf das schulische Vorankommen und die Planung des Alltags fühlt sich der Klient derzeit angekommen in einem Gleichgewicht aus Wollen und Sollen. Dabei erscheinen aber bereits neue Probleme am Horizont. Der Klient erzählt kurz von seinen komplizierten Beziehungen zu Frauen und verweist auf die Neuigkeit eine neue Freundin zu haben. Er möchte die nächsten Sitzungen diesem aktuellen Thema widmen, da er sich jetzt sicher und kräftig genug dafür fühle. Ein Thema, welches bisher generell vollkommen ausgeblendet wurde.

Wir beschließen die Stunde mit einem Dank für das gegenseitig entgegengebrachte große Vertrauen, ohne den einfach nichts möglich ist.

 

4. Zusammenfassung und Reflexion

Das bescheidene Ziel dieser Therapiearbeit mit der Überschrift „Ich bin liegen geblieben in meinem Leben und weiß nicht was mit mir los ist“ lag im Herausfinden, ob eine Klärung innerer Zustände, Kräfte oder Energien als erster Schritt zur Rückgewinnung eigener Handlungsfähigkeiten genutzt werden kann.

Voraussetzung für diese Therapiearbeit war der oftmals überprüfte Veränderungswunsch von Markus (So geht’s nicht weiter). Sollte der Klient diesen Wunsch nicht geäußert haben bzw. von diesem Wunsch abrücken, so wäre eine andere bzw. Änderung der Zielformulierung notwendig gewesen. Aus Sicht des Therapeuten hätten wir dann folgendes Minimalziel vereinbaren können: „Ich kann Sie zumindest begleiten zu verstehen, warum Sie sich nicht verändern wollen“. Wichtig bei Veränderungsarbeiten erscheint mir daher zu Beginn stets das „Aber“ des Klienten zu verteidigen.

Mit Hilfe der des Inneren Teams von Schulz von Thun als Hauptintervention der ersten Therapiestunden sollte zunächst versucht werden jene Passagen in der Problemerzählung des Klienten zu fokussieren, wo er sich als handlungsunfähig und blockiert beschreibt, wo nichts weitergeht bzw. wo von einem weitgehenden Rückzug vom „äußeren Leben“ erzählt wird. Durch die Teile-Arbeit sollte die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass der Klient sich selbst vielschichtig und auch durchaus widersprüchlich wahrnehmen kann. Dadurch soll ein „Aufweichen“ erstarrter innerer Positionen bewirkt werden. Durch eine Neuordnung der inneren Anteile soll der Klient einen besseren Zugang zu seinen Ressourcen finden können, und diese dann selbstwirksam im Alltag einsetzen und überprüfen zu können.

Gemäß systemischer Sichtweisen soll also ein dysfunktionales Muster verstört werden um dann zielorientiert neu eingeübt werden zu können. Dies scheint durch die Einübung eines geregelten Alltagslebens und einen beachtlichen Lernerfolg durchaus gelungen zu sein. Durch eine aufrichtige Würdigung der Leistung des Klienten sowie gezielte Wir-Formulierungen (siehe Ende der siebenten Sitzung) soll der Klient nicht alleine gelassen werden: Es ist zwar sein Problem, der Therapeut ist jedoch ein verlässlicher Partner in einem vertrauensvollen Arbeitsbündnis.

Eine hilfreiche Hauptintervention muss natürlich zum Klienten aber auch zum Therapeuten passen. In dieser Arbeit wurden einzelne Interventionsschritte durch angeleitete und nicht angeleitete Metaphern (Strukturbilder, Strategie-Papier, Pferd in der Startbox etc.) verankert. Weiters wurde der Klient mittels dieser Interventionsschritte von einer überwiegenden Problem-Lösungs-Assoziierung allmählich in eine Problem-Lösungs-Dissoziierung übergeführt. Dadurch sollte es ihm leichter fallen, selbstwirksam funktionale Lösungsstrategien für den praktischen Alltag entwickeln zu können.

Diese Arbeit versteht sich auch darin, gemeinsam mit dem „liegen gebliebenen“ Klienten einen Ausgangspunkt zu erarbeiten, von dem man sich dann gemäß Auftrag des Klienten einem konkreten Symptom (z.B. Kopfschmerz, Panikattacken) zuwenden kann. Für eine psychosomatische Therapiearbeit würden sich hier hypnosystemische Übungen gut anbieten. Auch hier geht es für den Klienten wieder darum, eine minimale Kompetenzerweiterung – jetzt dem konkreten Symptom (z.B. Kopfschmerz, Panikattacken) gegenüber – zu erwerben.

In Hinblick auf die Familiengeschichte des Klienten, verbunden mit seinen schwierigen Beziehungen zu Frauen könnte sich eine weitere Therapiearbeit nach der „Idee von Sehnsucht“ organisieren. Diese „Idee von Sehnsucht“ muss für den Klienten transparent gemachten werden und realistisch sein. Hier könnte „ein Neuerleben einer positiven Beziehungserfahrung und –gestaltung“ Teil einer nächsten Zielvereinbarung sein.

Zu Beginn der Arbeit berichte ich über eine aus meiner Sicht gelungene Therapiesitzung im Rahmen meiner Einzelselbsterfahrung. Dabei war die Hauptintervention (Inneres Team) sehr erhellend für die Wahrnehmung meiner eigenen beruflichen Situation. Wichtig erscheint mir darauf hinzuweisen, dass Hauptinterventionen einerseits zum Therapeuten und Klienten passen sollen, andererseits sollte auch hier darauf geachtet werden, dabei nicht in eigene Bedürftigkeiten abzugleiten.

Viel wichtiger halte ich in diesem Zusammenhang die Überlegung, wie man Hauptinterventionen „designen“ muss, damit das Prinzip der Therapiearbeit sichtbar wird. Dieses Prinzip soll sowohl für den Therapeut als auch für den Klient sichtbar und verständlich sein: Es ging in dieser Arbeit um die Frage, ob eine Klärung und Ordnung innerer Anliegen und Kräfte als erster Schritt zur Rückgewinnung eigener Kompetenzen genutzt werden kann, indem der Klient seine erwünschte Wirksamkeit im praktischen Alltag einüben und überprüfen kann. Eine so gewonnene Zuversicht im Arbeitsbündnis soll Klient wie Therapeut in eine Ausgangslage bringen, sich nachfolgenden konkreten und fest umrissenen Problembeschreibungen zielorientiert zuwenden zu können. Das Prinzip dieser Arbeit kann in der Schaffung einer Grundlage gesehen werden, auf der ein Klient „bewegen kann“. Mit der Erfahrung von Selbstwirksamkeit und einer schrittweisen Gewinnung von Orientierung und Sicherheit, im Kontext schwieriger Lebensübergänge, kann er sich nun einem konkreten Problem in der Art stellen, dass die Wahrscheinlichkeit für ein therapeutisch wirksames Arbeiten hoch ist bzw. zumindest erhöht ist.

 

Literaturverzeichnis

Bateson, G. (1985). Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Brandl-Nebehay, A., Rauscher-Gföhler, B. & Kleibel-Arbeithuber, J. (1998). Systemische Familientherapie. Grundlagen, Methoden und aktuelle Trends. Wien: Facultas.

Grossmann, K. P. (2007). Therapeutische Landkarten. Heidelberg: Carl-Auer.

Hubble, M., Duncan, B. & Miller, S. (2001). So wirkt Psychotherapie: Empirische Ergebnisse und praktische Folgerungen. Systemische Studien: Band 21. Dortmund: Verlag Modernes Lernen.

Precht, R. D. (2007). Wer bin ich und wenn ja, wie viele? München: Goldmann.

Schulz von Thun, F. (1981). Miteinander Reden. Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Reinbek: Rowohlt.

Schulz von Thun, F. (1998). Miteinander Reden 3. Das Innere Team und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek: Rowohlt.

Schulz von Thun, F. (2004). Das Innere Team in Aktion. Praktische Arbeit mit dem Modell. Störungen und Klärungen. Reinbek: Rowohlt.

Simon, F. B. (2009). Zirkuläres Fragen. Systemische Therapie in Fallbeispielen: Ein Lernbuch. Heidelberg: Carl-Auer.

Tomm, K. (2004). Die Fragen des Beobachters. Schritte zu einer Kybernetik zweiter Ordnung in der systemischen Therapie. Heidelberg: Carl-Auer.